Schweigen, Schwitzen, Schlafen – Teil 2

Der zweite Tag beginnt für uns heute, wie für alle hier Anwesenden, um halb vier Uhr Morgens. Oder soll ich lieber „Nachts“ schreiben? Nicht der Hahn, sondern der diensthabende Mönch weckt mich und die anderen mit einem dumpfen Klanginstrument, welches mich an große aufeinander schlagende Holzlöffel erinnert.

Als ich mitten in meiner Tiefschlafphase den lauten, dumpfen Gong vor meiner Tür höre, schrecke ich aus dem Bett hoch. Obwohl ich gestern sofort eingeschlafen bin und ich somit theoretisch ausreichend Stunden Schlaf hatte, fühle ich mich wie gerädert. Nach einer schnellen Katzenwäsche taumle ich im Halbdunkeln Richtung Meditationshalle. Ich merke, dass ich im Vergleich zu den anderen Frauen, die achtsam einen Fuss vor den anderen setzen, noch sehr unkoordiniert gehe. Es ist einfach zu früh und ich bin noch nicht richtig wach. Neben der Trinkwasserstelle steht ein Baum und während das Wasser langsam meine Flasche füllt, beobachte ich einen Hahn im Baum, der versucht, wieder einzuschlafen. Er dreht sich mehrfach auf dem Ast im Kreis und steckt sein Köpfchen abwechselnd ins Gefieder und wieder aus dem Gefieder, um die Menschen zu beobachten, die an ihm vorbeilaufen. Er fühlt sich sichtbar gestört. Ich muss schmunzeln – verkehrte Welt!

Nach dem Frühstück habe ich die Gelegenheit mit dem Meister und Ing persönlich zu sprechen. Er erklärt, dass die Art des Vipassanas, die wir hier praktizieren auch Labelmeditation genannt wird. Allen Objekten, Empfindungen und Gedanken werden Etiketten verpasst. Wenn er also den rechten Fuss hebt, dann beschreibt er das gedanklich mit „lifting right foot“, wenn ihm das Sitzen Schmerzen bereitet, dann nimmt er diese wahr und notiert in seinem Kopf gedanklich „pain“. Dadurch werden alle Zustände anonymisiert und eine Distanz zu ihnen wird aufgebaut. Das hilft, schneller bei sich zu sein. Er empfiehlt für die Meditation zuhause einen fixen Termin. Auf meine Frage antwortet Kyunpin Sayādaw, das er Mönch geworden sei, weil er schon immer gern allein war. Trost spendend empfand ich seinen Hinweis, dass er trotz jahrelanger täglicher Meditation noch immer Momente hat, in denen er „angry“ (also verärgert) sei. Dies komme jedoch nur selten vor. Mit einem verschmitzten Lächeln erwähnt er, das Ing über diese Momente Bescheid weiß, da sie seinen Ärger am meisten spürt.

Sie erklärt, das laut der hier gelebten buddhistischen Philosophie alle Gedanken, Gefühle oder Geräusche nur Objekte sind, die nichts mit dem „Ich“ zu tun haben. Sie kommen und gehen und sind nicht mit dem „Selbst“ verbunden. Auf meine Frage, was dann noch von mir übrig bleibt, höre ich: 

NICHTS. 

Hmm – eine irgendwie unbefriedigende Antwort. Zum Schluss bekomme ich von Ing noch einen kleinen Hocker, damit ich in der Sitzmeditation nicht ständig das Label „Pain“ vergeben muss. 

Ing sagte uns bei der Einführung, dass es völlig normal sei, dass die Beine nach einer gewissen Zeit im Schneidersitz einschlafen und dies Schmerzen verursacht. Wir sollen den Schmerz einfach bewusst wahrnehmen, ihn etikettieren und warten, bis er wieder verschwindet. Bei mir verschwindet er jedoch nicht, im Gegenteil – er wird immer schlimmer, je länger ich in dieser Position sitzen bleibe. Normalerweise hätte ich mich schon längst bewegt, doch nun zwinge ich mich, ihn auszuhalten, bis er nachlässt. Minuten vergehen. Ich versuche auf meinen Atem zu achten, doch der Schmerz wird immer intensiver. Mein Geist driftet immer öfter zu dem Pochen in den Beinen und ich kämpfe gedanklich gegen den immer grösser werdenden Drang, mich zu bewegen. Die Neugier, ob der Schmerz tatsächlich aufhört, ist jedoch noch grösser und so halte ich weiter in der quälenden Position aus. Weitere Minuten vergehen. Auf meinen Atem kann ich nicht mehr achten, alle meine Gedanken sind bei dem Schmerz. Ich erwische mich, wie ich gedanklich fluche. Dennoch harre ich weiter aus. Während ich so still und regungslos auf meiner Matte sitze und von aussen eventuell sogar tiefenentspannt wirke, führe ich im Inneren einen brutalen Kampf: Körper gegen Willenskraft. Der Schmerz ist überwältigend, aber ich bewege mich nicht. Doch nun holt mein Geist einen Joker heraus, an den ich bis jetzt noch nicht gedacht habe: Es tauchen nun Sorgen über meine Gesundheit auf. Wie clever. Was ist, wenn ich mir gerade einen Nerv abklemme? Ich erinnere mich an das Taubheitsgefühl im kleinen Finger der rechten Hand, unter welchem ich vergangenes Jahr nach einer langen Fahrradtour noch Monate danach litt. Das möchte ich nicht nochmals durchmachen und so beschliesse ich kurzum, den Kampf aufzugeben und auf den Körper zu hören. Ich bewege mich zaghaft, um die anderen nicht zu stören. Jede kleinste Regung tut höllisch weh, am liebsten möchte ich aufschreien. Es ist, als ob mich mein Körper für dieses Experiment bestrafen will. Ich ziehe eine Lehre daraus und beschliesse, in Zukunft auf aufkommende Schmerzen zu reagieren und meine Position viel früher zu ändern. 

Am Abend des dritten Tages fühle ich mich lustlos und leicht frustriert. Ich mache keine Fortschritte, was meine Meditationspraxis angeht. Besonders bei der Sitzmeditation drifte ich häufig ab. Die Gedanken kommen und wollen oft nicht wieder gehen. Zudem schleichen sich auch negative Gedanken ein. Das nervt. Ich fühle noch immer Wut und Traurigkeit, wenn ich an Menschen denke, die mir früher sehr nah standen und die mich verletzt haben. Vielleicht finde ich ja hier den Schlüssel, der die Tür der Akzeptanz und des respektvollen Abstandes endgültig öffnet. Ich erinnere mich an die Worte von Ing, dass alle Gedanken, Gefühle und Objekte, die ich wahrnehme, nichts mit meinem Selbst zu tun haben. Alles kommt, geht und vergeht. Nichts ist beständig. Wenn ich das verinnerlicht habe, dann habe ich die erste Stufe zum Nibbana (in Palisprache „Erlöschen“ oder „Erwachen“ bzw. Nirwana in Sanskrit) erreicht.

Am nächsten Morgen beim Frühstück sehe ich Jana, wie sie langsam zu ihrem Platz geht. Sie sieht müde und zermürbt aus. Unsere Blicke treffen sich beim Essen und ich lege meine Hand auf mein Herz, unser Zeichen für „Alles gut“. Sie erwidert meine Geste nicht und steckt mir stattdessen beim Verlassen des Raumes einen Zettel zu. Sie überlegt, abzubrechen, da sie mit der Dauer und Art der Meditation Schwierigkeiten hat. Ich kann sie gut verstehen. Der Tagesablauf lässt neben den Meditationen und Mahlzeiten kaum Zeit zur freien Verfügung übrig. Hinzu kommt, das sich die Sitz- und Gehmeditation im Verhältnis 7:4 aufteilt. Selbst im bequemsten Couchsessel ist ein bewegungsloses Sitzen über sieben Stunden eine Herausforderung. Mittags steckt mir Jana erneut ein Stück Papier zu. Darauf steht, dass Ing ihre Bedenken offenbar nicht Ernst nimmt und sie als die üblichen Anfängerprobleme einordnet. Ein Abbruch der Meditation ist zwar jederzeit möglich, jedoch mit dem umgehenden Verlassen des Klosters verbunden. Das möchte Jana auch nicht und so übt sie sich in Akzeptanz und bleibt dran. Immerhin ist heute der vierte von insgesamt sieben Meditationstagen zu Ende gegangen.

Ich fühle mich unendlich müde. Während den Sitzmeditationen überkommt mich immer wieder die Müdigkeit. Wie ein Schleier hüllt sie mich ein und zwingt mich förmlich in den Schlaf. Und so döse ich regelmässig ein und wache erst wieder auf, wenn ich merke, wie ich zur Seite kippe. In dem Moment erschrecke ich, setze mich wieder gerade hin und versuche mich erneut auf meinen Atem zu konzentrieren. Das klappt nur eine kurze Weile, denn auch bei mir wirren die Gedanken durch den Geist. Mir scheint, als ob mich mein Geist mit immer attraktiveren Überlegung von meiner Achtsamkeitsübung abhalten will. Es fällt mir schwer eine kreative Idee einfach ziehen zu lassen und so hafte ich ihr oft an, verfolge die Spur und komme von einem Gedanken zum nächsten. Bis mir bewusst wird, dass ich erneut von meiner Atembeobachtung abgekommen bin vergehen oft Minuten. Wenn ich mich dann wieder auf das Heben und Senken der Bauchdecke konzentriere und es schaffe, die Gedanken bewusst ziehen zu lassen, klopft im nächsten Moment auch schon die Müdigkeit wieder an. Ganz nach dem Motto: „willst du nicht denken, so sollst du schlafen“ Und so gebe ich es erneut auf. Ich setze mich auf meine Knie und beuge mich nach vorne, den Kopf lege ich auf meinem Kissen ab. Obwohl diese Hockposition absolut nicht bequem ist, schlafe ich sofort ein. 

Es scheint hier übrigens völlig üblich zu sein, das Mönche und Yogis locker entspannt sämtlichen Blähungen nachgeben und furzen, was das Zeug hält, egal welche Meditation sie gerade ausüben oder in welcher Schlange sie gerade stehen. Es scheint ihnen wirklich gleichgültig zu sein – was raus muß, muß raus. Mit dem Rülpsen verhält es sich im Übrigen ebenso. Ich werde das Gefühl nicht los, das damit das Schweigegelübde auf ziemlich subtile Art umgangen wird unter dem Motto „Wenn ich schon nicht reden darf, dann mache ich eben mit Furzen und Rülpsen auf mich aufmerksam.“

Am nächsten Tag geht es mir schon besser. Ich habe beschlossen, die Woche hier durchzuziehen und das Beste daraus zu machen. Das bedeutet für mich, die Meditation nicht mehr so ernsthaft zu betreiben. Ich gebe mich von nun an meinen Gedanken hin, wenn mein Körper schmerzt, dann wechsele ich die Position und wenn mich der Schlaf überkommt, dann hocke ich mich so hin, dass ich für ein paar Minuten die Augen schliessen kann. Zudem schwänze ich ein paar Meditationsstunden und lege mich stattdessen zum Schlafen in mein Bett oder führe in meinem kleinen Bungalow Dehn- und Kraftübungen aus. All das ist natürlich nicht im Sinne der Vipassana Meditation, aber es für mich der Weg, wie ich die restlichen Tage hier überstehe.

Nach dem heutigen Frühstück steckt mir Micha einen Zettel mit lieben Worten und Durchhaltewünschen zu. Ich danke ihm so sehr dafür, lächle ihn an und lege meine Hand auf mein Herz. 

Schweigen, Schwitzen, Schlafen – Teil 1

Wir sind angekommen, zumindest geographisch, im Kuyunpin Meditation Center. Ich zögere keine Sekunde, aus dem Taxi zu steigen. Dieser Ort und diese Woche sollen ein Höhepunkt unserer fast einjährigen Reise werden. So habe ich es mir gewünscht und ich bin entschlossen, alles dafür zu tun, das es auch so kommt.

Dieses klostereigene Taxi brachte uns zum Mediationszentrum.

Der Aufenthalt in einem Schweigekloster war Micha`s Wunsch. Genauso wie ich bereits vor der Reise wusste, dass ich unbedingt ein oder zwei Tierschutzprojekte unterstützen möchte, wollte Micha unsere Reiseauszeit nutzen, um diese Erfahrung zu machen. Als klar wurde, dass wir durch Myanmar reisen, suchte er im Internet nach Möglichkeiten. Das Land ist voller Klöster, aber nur die wenigsten besitzen eine Homepage. So sind wir froh, dass wir das Kuyunpin Meditation Center im Norden vom Mandalay gefunden haben und hier die Mönche und Nonnen bei ihren letzten acht Tagen des ingesamt dreimonatigen Meditationretreats begleiten dürfen. Wir tauchen also erneut in eine uns völlig fremde Welt hinein.

Doch bevor ihr weiter lest, eine Sache noch: Der Artikel zu unserem Aufenthalt hier im Kloster ist so lang geworden, dass wir ihn nicht in einen einzigen Blogbeitrag packen möchten. Zudem hat dieser Bericht ein neues Format, denn wir haben ihn diesmal zusammen verfasst  – Michas Eindrücke sind in Schwarz geschrieben und meine in Blau. Die Zeit im Kloster haben wir getrennt voneinander verbracht. Wir haben in diesen Tagen unterschiedliche Erlebnisse gehabt und die Zeit auch anders wahrgenommen. Dieses abwechselnde Schreiben ermöglicht es uns den Aufenthalt im Kloster aus unser beider Sichtweisen zu illustrieren. 

Zweieinhalb Stunden dauert die Eskapade von Mandalay. Wir benutzen Straßen, die diese Bezeichnung im fernen Deutschland wohl kaum verdient hätten. Immer wieder sind Ansammlungen von drei bis vier Strohhütten, also kleinste Dörfer zu sehen. Diese Unterkünfte wirken so provisorisch, dass es mir schwerfällt, den Gedanken zu akzeptieren, das dies nicht nur Schutzhütten für Landarbeiter vor Unwetter oder der erbarmungslosen Sonne sind, sondern ein Zuhause, ein dauerhafter Rückzugsort für Familien. 

Laut Google Maps gibt es keine Strasse zum Kloster – zum Glück wissen es die Menschen vor Ort besser.

Ziegen- und Rinderherden, die wie in einem alten Märchen von einem Hirten mit einem langen Stock getrieben und zusammengehalten werden, traben hin und wieder gemächlich an unserem Wagen vorbei. Der Fahrer reduziert die Geschwindigkeit weiter und bleibt stehen, bis das letzte Kalb den Weg an uns vorbei zu seiner tierischen Gemeinschaft gefunden hat. Für mich ist dieses Warten ein kleiner Vorgeschmack auf das, was nun in den kommenden Tagen folgt.

Während der Fahrt versuche ich mich gedanklich auf die nächste Woche vorzubereiten. Wie werde ich mit den strengen Regeln des Klosters zurechtkommen? Das frühe Aufstehen, das viele Meditieren, das Schweigen, das tägliche 18 Stunden-Intervallfasten? Was werden die Tage der Stille mit uns machen? Wir werden zum ersten Mal seit Beginn unserer Reise örtlich getrennt sein. Falls wir uns über den Weg laufen sollten, so haben wir uns auf ein Zeichen geeinigt. Die Hand auf dem Herz bedeutet: Alles ist gut.

Die leitende Nonne Ing begrüßt uns zurückhaltend freundlich, erläutert uns die allgemeinen Verhaltensregeln und stattet uns mit Waschmittel, Toilettenpapier und einer dicken Decke aus. Ein Mönch führt mich schweigend zu dem Bereich im Kloster, wo die Männer wohnen und meditieren. Meine Freude ist groß als ich merke, dass ich statt der erwarteten Unterbringung im Schlafsaal einen eigenen kleinen Bungalow zugewiesen bekomme. Es ist ein Raum mit einem Bett, einer Wäscheleine und einem kleinen Schränkchen. Ich habe auch ein eigenes Bad mit einer Toilette, auf der sogar das Sitzen möglich ist. Es gibt ein Waschbecken und einen Duschschlauch. Ich bin entzückt. 

Zwei Stunden haben wir nun Zeit auch mental anzukommen. Ich packe als Erstes das grosse Moskitonetz aus und versuche es irgendwie über mein Bett zu hängen. Einen Haken an der Decke gibt es nicht, aber ich finde eine kreative Lösung mit Halterungen an den Fenstern und der Wäscheleine. Obwohl diese kleine Installation nicht aufwändig ist, läuft mir der Schweiß nur so vom Körper herunter. Es ist brütend heiss, ich sehne mich nach einem Lüftchen. Als Abkühlung bleibt mir nur die Dusche. Das kalte Wasser tut mir sehr gut. Doch sobald der kühlende Strahl nachlässt, wird mir wieder warm. Das Lufttrocknen, was ich in unseren Breitengraden durchaus geniesse, funktioniert hier aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit nicht. Ich versuche mich mit einem T-Shirt abzutrocknen, aber auch das gelingt mir nur mässig. Ich schwitze schon wieder. Warum ich kein Handtuch nehme? Weil wir nur eins haben und unser Deal war, dass ich das Moskitonetz behalte und Micha dafür unser Handtuch bekommt. 

Am Abend treffen Jana und ich uns mit Ing vor einem kleinen Raum. Ing stellt sich und das Kloster vor. Sie stammt aus Thailand und scheint alterslos zu sein. Ihre großen braunen Augen wirken durch den kahl geschorenen Kopf noch größer. Das weiße Gewand verleiht Ihr sowie ihren Kolleginnen bei aller Einfachheit des Stoffes und der Schnitte eine außerordentliche Noblesse. Ihr Englisch ist hervorragend, so das auch ich ihr gut folgen kann. In den kommenden acht Tagen ist sie unsere Mentorin.

Dieses Bild haben wir am letzten Tag mit einer Nonne und anderen Yogis gemacht.

Ich bin bereits einige Minuten vor 19 Uhr am Treffpunkt vor dem kleinen Tempel und zupfe ungeduldig an meinen neuen Kleidern herum. Ich trage einen langen braunen Rock mit goldenen Strickereien, eine weisse Bluse und eine passende braune Schärpe. Das ist die Kleidung, die alle weiblichen Gäste während ihres Aufenthalts tragen müssen. Die Vorschriften für die Männer sind lockerer. Sie können so ziemlich alles anziehen und haben die Wahl zwischen: dunkler Stoffhose oder Wickelrock, T-Shirt oder Hemd. Micha hat sich für diesen ersten Abend richtig in Schale geschmissen. Ich erkenne seinen Schritt und sehe ihn schon von Weitem. Er trägt sein langärmliges weisses Hemd und den blauen Longyi, den traditionellen Wickelrock der Burmesen, den er sich gestern erst neu gekauft hat.

Im Stoffladen mit den wohl nettesten Verkäuferinnen in ganz Mandalay.

Tag 1: 

Der erste Tag beginnt für uns sanft um 6.00 Uhr. Wir hatten mit Ing abgemacht, dass wir heute auf die Morgenmediationen verzichten und erst zum Frühstück dazukommen.

Das tägliche Anstehen zum Essen und ich mittendrin.

Ich beobachte, wie sich die Mönche entsprechend ihrer internen Rangordnung in eine Reihe stellen. Dahinter bilden die Gäste eine weitere Reihe. Wir sortieren uns nach der Dauer unseres Aufenthaltes. Ich bin ein Kurzbesucher und stehe demnach an letzter Stelle.

Auf einmal beginnt sich die Schlange von Menschen langsam zu bewegen. Wir laufen von der auf einer Anhöhe befindlichen Meditationshalle (Dhamma Hall) der Männer durch einen riesigen Garten über eine langgezogene, teilweise steile Treppe hinunter und kommen erst vor dem Meditationssaal der Nonnen zum Halt. Die Frauen stehen bereits makellos aufgereiht auf dem kleinen Platz, blicken auf den Boden und warten.

Um 5.50 Uhr gehe ich aus meinem Bungalow und versuche die Regeln zu verstehen, in der sich die Frauen aufreihen. Zuerst gehen die Nonnen in einer ordentlich geformten Reihe um die Meditationshalle herum. Sie tragen alle entweder ein braunes, weisses oder rosafarbenes Gewand – je nach ihrem Herkunftsland. Ich geselle mich zu den Frauen, die ebenfalls einen braunen Rock und eine weisse Bluse tragen, denn wir sind die Yogis (so werden hier die Gäste genannt) und wir gehen als letzte Gruppe los. Hinter unserer Halle reihen wir uns auf und warten.

Der Lehrer „Kyunpin Sayādaw“. Bild aus der Webseite des Kyunpin Meditation Center

Sobald der ranghöchste Mönch die Treppe herunterkommt steigen alle Frauen aus ihren Sandalen aus und stellen sich barfuss neben ihre Schuhe. Ich habe nie gefragt, warum wir das machen, aber ich glaube, dies gilt dem Respekt und so tue ich es ihnen nach. Zudem senken nun alle den Kopf. Es gilt Blickkontakt zu vermeiden, denn wir sollen ganz in uns ruhen. Obwohl auch ich den Kopf senke, schauen meine Augen nach oben. Ich suche Micha und lächle, als ich ihn endlich erblicke. Er sieht müde aus. 

Nun stehen wir also da und warten. Es ist extrem heiss und ich bin dankbar für den Sonnenschirm, der mir ein bisschen Schatten spendet. Ich höre die Hähne krähen. Ein paar Hunde bellen irgendwo. Nach ungefähr einer Minute setzt sich unsere Reihe wieder in Bewegung. Was den Ausschlag zum Start gegeben hat, bleibt mir bis zum Schluß ein Rätsel. Langsam gehen die Männer nun zum Speisesaal. Im Kloster ist die Regel „Ladies First“ vielleicht bekannt, wird aber nicht angewendet. Die ranghöchste Nonne wartet bis sie der letzte Mann passiert. Erst danach setzt sie sich und die anderen Frauen in Bewegung.

Nachdem alle Männer an uns vorbeigegangen sind, schlüpfen wir wieder in unsere Schuhe und folgen ihnen ruhig und in der geordneten Reihe. Es geht nur langsam vorwärts. Auf einer großen Tafel im Eingangsbereich des turnhallengroßen Speiseraums lese ich, dass eine Familie aus Vietnam die heutige Spenderin für das Mönchsfrühstück, das Mittagessen und den Saft am Nachmittag ist. Während ich am Eingang wieder meine Schuhe ausziehe ertönt aus den Lautsprechern ein Gebet. Alle kennen den Text und singen laut mit. Ich senke einfach den Kopf und warte. Auf einmal wechselt die sprechende Nonne ins Englische und dankt den Spendern des heutigen Tages. Möge die Familie gesegnet sein von Gesundheit und positiven Gedanken. Nach dieser Andacht dürfen diejenigen, die bereits ihr Essen haben und an ihrem Platz sitzen, anfangen zu essen. Ich stehe allerdings noch recht weit hinten und muss mich weiter gedulden.

Ich reihe mich an den langen Tisch, an dem das Wort „Vegetarisch“ zu lesen steht. Das Angebot ist reichhaltig, von guter Qualität und sehr abwechslungsreich. Es gibt Reis, gedämpftes Gemüse, gebratenen Tofu, Gemüse mit Ei, Tempeh, Algen, scharfe Soßen und Gewürze. Am Ende des Tisches liegt ein wenig Obst. Es gibt auch etwas, das an Kuchen erinnert und ich sehe einzelne Packungen mit löslichem Kaffee. Ja, hier kann ich es wohl aushalten.

Mir wird ein Platz zugewiesen. Ab nun sitze ich in der Nähe des Ausgangs an einem kleinen Holztisch mit vier anderen männlichen Yogis. Jana kommt nach einigen Minuten auch mit einem vollen Tablett in die Halle. Auch ihr wird ein Stuhl gezeigt. Ich freue mich, dass sie nicht weit weg von mir sitzt und wir uns zumindest sehen können.

Von meinem Platz aus kann ich Micha gut sehen.

Nach dem Frühstück nutzen Jana und ich im Kloster-Shop, der gleichzeitig Empfangsbüro ist, die vorerst letzte Gelegenheit, uns auszutauschen. Dann gilt auch für uns, was für alle Nonnen und Mönche dauerhaft die Regel ist: 

SCHWEIGEN

Zufällig sitzt der Klostervorsteher, Kuyinpin Sayadaw, der große Meister persönlich, auch dort und unterhält sich gerade mit einem älteren Mönch. Er bittet uns, Platz zu nehmen. Wir stellen uns vor und sprechen über unsere Erwartungen für die nächsten Tage – wir erzählen von unserer Neugier, der erhofften innerer Ruhe und dem Charme der Gelassenheit. Er nickt und sagt auch etwas, das ich aber nicht verstehe. Unser beider Englisch ist nicht gut genug, um die Defizite des jeweils anderen kompensieren zu können. Also bleibt es bei nonverbaler Kommunikation. Naja – wir sind ja eh in einem Schweigekloster und gehen wieder.

Das vorerst letzte gemeinsame Bild.

Wir haben noch ein paar Minuten Zeit, bis unsere erste Meditation anfängt. Ich suche meine Sitzkissen zusammen, fülle meine Wasserflasche auf und setze mich nochmal auf mein Bett. Neben mir liegt das Prospekt, welches den Tagesablauf aufzeigt: 

  • 3.30 Uhr Wecken
  • 4 Uhr Gehmeditation
  • 5 Uhr Sitzmeditation

6 Uhr Frühstück und individuelle Pause

  • 7.30 Uhr Sitzmeditation
  • 8.30 Uhr Gehmeditation
  • 9.30 Uhr Sitzmeditation

10.30 Uhr Mittag und individuelle Pause (ab 12 Uhr soll nichts mehr gegessen werden)

  • 13 Uhr Sitzmeditation
  • 14 Uhr Gehmeditation
  • 15 Uhr Sitzmeditation

16 Uhr Saft und individuelle Pause

  • 18 Uhr Sitzmeditation
  • 19 Uhr Gehmeditation
  • 20 Uhr Sitzmeditation

21 Uhr Tagesausklang mit gemeinsamem Gesang (Metta Chanting)

ab 21.30 Uhr Ruhezeit (oder Zeit für individuelles Meditieren) 

Ich zähle 11 Stunden für die Meditation und 6 Stunden für den Schlaf. Ich rechne erneut. Wieder komme ich auf 11 Stunden meditieren und 6 Stunden schlafen. Kann das sein? Ich nehme jetzt meine Finger zur Hilfe und zähle nochmal wie ein Kind. Als ob ich es nicht wahrhaben wollte. Natürlich war uns diese Information schon vor unserer Anmeldung bekannt, aber ich habe sie immer geschickt ignoriert. Wird schon. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich gehe langsam zur Dhamma Hall. Wird schon – das sage ich mir nun mehrmals in meinen Gedanken. 

Auch in der Meditationshalle bekommen wir alle einen Platz zugewiesen. Die Nonnen und Yogis sitzen durcheinander gemischt in mehrere Reihen gerade hintereinander. Der Anblick der Frauen, jede unter einem farbigen Moskitonetz sitzend ist zwar ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber ich fühle mich unter meinem Netz von Beginn an sehr wohl. Zum einen hält es tatsächlich alle lästigen Insekten ab, zum anderen markiert das Netz meinen individuellen Bereich. Es ist ein kleiner Bereich, gerade so gross wie der Platz, den ich brauche, wenn ich im Schneidersitz sitze. Vielleicht ein Quadratmeter. Sieben Stunden soll ich während unseres Aufenthalts jeden Tag auf diesem Fleckchen Erde verbringen. Wird schon, sage ich mir erneut. 

Ich bin froh für die Abwechslung bei der Gehmeditation. Die Strecke beträgt etwa zehn Meter. Ich schreite sie bevorzugt im Freien ab, da ich hier mehr Luft und Natur spüre. Der Bewegungsablauf erinnert an einen Fischreiher im flachen Wasser, der in Zeitlupe Ausschau nach Fröschen und Fischen hält und durch das flache Wasser watet. Jede Teilbewegung des Beines und Fusses wird in Gedanken seziert und parallel ausgeführt. Damit ist der Fokus auf jede kleine Veränderung gelegt und verhindert das Abschweifen der Gedanken. Im Unterschied zur Sitzmeditation melden sich hier keine Rücken- oder Knieschmerzen. Das macht es alles viel entspannter. Da es sehr warm ist, laufe ich auf meinen Fußsohlen ohne Schuhe. Ich fühle den Boden, seine Wärme, jede Unebenheit und jeden Krümel. Ich sensibilisiere meine Nerven und übe mich so in Achtsamkeit. Dies gelingt mir auf diese Art besser als im Sitzen.

Um 21 Uhr singen alle zusammen einen sogenannten Chanti (ich glaube in der Buddhasprache Pali), der auf mich beruhigend und einschläfernd wirkt. Am Ende des ersten Tages habe ich neun Stunden meditiert – erleuchtet fühle ich mich noch nicht – eher fühlen sich meine Gliedmaßen an, als wenn sie eine ordentliche Massage bräuchten. Ich habe Geduld! 

Wann selbst dem großen Meister die Geduld abhanden kommen kann, ob Jana sich vielleicht doch zuviel zugemutet hat, worüber sich Mönche freuen können, wie wir wahrscheinlich das Leben eines Hundes retteten und was das alles mit einem müden Hahn zu tun hat, erfahrt Ihr in den nächsten Blogartikeln.