Aussie Quicky

Heute ist der 26. August. Wir waren schon immer ein bisschen im Verzug mit unseren Blogeinträgen, aber noch nie so sehr. Deshalb schreibe ich heute über unsere Tage in Sydney. Beim Betrachten der Bilder stelle ich fest, dass wir Australien genau heute vor drei Monaten verlassen haben – oh je.

Und bevor ich diesen Artikel noch weiter aufschiebe, setzte ich mir nun folgendes Ziel: Komme was wolle, ich schreibe und lade diesen Blogbeitrag in den nächsten 90 Minuten hoch – ein Blog-Quicky sozusagen. Das passt auch ganz gut zu unserer Australien Reise. Wir haben diesem unglaublich grossen Land nur drei Wochen Besuchszeit gegeben. Das ist viel zu wenig, um den Kontinent wirklich kennenzulernen, richtig einzutauchen und intensiv zu erleben. Aber wir haben einen kleinen Eindruck bekommen.

In Napier/Neuseeland haben wir an einem Abend ein sehr nettes älteres Pärchen aus Sydney kennengelernt. Sie boten uns an, etwas mit ihnen gemeinsam zu unternehmen, falls wir mal in der Nähe sind. Und so kam es, dass wir bereits an unserem ersten Tag nach Ankunft in der Fünfmillionen-Stadt eine Einladung zum Frühstück hatten. Rosamund ging mit uns schnurstracks in ihr Lieblingscafe im Queen-Victoria-Building – ein stilvolles viktorianisches Einkaufsgebäude in dem wir uns in unseren zweckmässigen Roadtripklamotten ein bisschen „underdressed“ vorkamen.

Wir verbrachten den gesamten Tag mit unserer aufgeweckten Gastgeberin und lernten gleich ihr Sydney kennen. Sie arbeitete lange in der berühmten Oper und hörte gar nicht mehr auf, von den vielen Theaterstücken sowie Ballettaufführungen, die sie hier gesehen hat, zu schwärmen. Das Ballett ist ihre Leidenschaft. Sie war selbst Tänzerin und es scheint, sie tanzt noch heute durch ihr Leben. So viel Energie und Lebensfreude möchte ich auch in ihrem Alter haben. Aber welcher Jahrgang ist sie eigentlich? Sie vermeidet es ganz bewusst Jahresdaten zu nennen. Sie weiss, dass ihr Gegenüber anfangen würde zu rechnen. Auch auf meine direkte Nachfrage lächelt sie nur – eine Bühnenfrau eben. Sie spielt, kreiert Illusionen und geniesst ihr Publikum.

Am nächsten Tag sitzen wir mit Rosamund und ihrem Mann Gavin in ihrem Auto Richtung Blue Mountains. Sie nehmen uns mit ins Grüne und zeigen uns ihr „anderes“ Sydney. Gavin hatte früher ein kleines Unternehmen, welches Wanderungen in diesem Naturpark anbot – er kennt das Gebiet in- und auswendig und nimmt uns mit auf den „Grand Canyon Track“. Das Schild am Anfang des Weges weisst auf die Tour hin: drei bis vier Stunden mit vielen Stufen und Flussüberquerungen. Es war eine wunderschöne Wanderung durch eine Schlucht, die der Fluss vor Millionen von Jahren geformt hat. Wir staunen über die Fitness, die die beiden an den Tag legen. Es sind wirklich viele Stufen, die wir erst hinunter und dann wieder hoch gehen müssen. Die beiden sind ausgesprochen gut in Form. 

Nach der Tour legen wir noch einen Halt an einer Aussichtsplattform ein. Wir bekommen einen Überblick über das Gebiet. Es ist ein schöner, aber sehr touristischer Ort. Busse spucken Scharen von asiatischen Touristen aus, die alle hier ein (ach quatsch, mindestens zehn) Selfies oder Posenfotos machen wollen. Wir stehen an, um auch ein Foto ohne die anderen Menschen vor den berühmten Felsformationen „Three Sisters“ zu bekommen.

Während uns Gavin etwas zu dem Park erzählt, hören wir ein dumpfes Hupen. Der Busfahrer der Gruppenreisenden drängelt. Wieder einmal sind wir froh, dass wir nicht Teil einer solch organisierten Tour sind. Auch wenn wir nicht viel Zeit hatten, um uns Australien anzuschauen, diese Menschen haben wohl noch weniger. Es geht immer noch schneller. Bei einer Unterhaltung über diese Art des Reisens hörte ich einmal den Ausdruck „Touch and Go“. Der Begriff, der aus der Luftfahrt kommt, passt wunderbar, ist aber noch nicht für den Tourismus etabliert. Dann doch lieber ein Quicky.

P.S. Als wir uns Tage später von Rosamund per Telefon am Flughafen nochmal verabschieden, verrät sie uns ihr Geheimnis. Sie redet nicht gerne darüber, weil sie Vorurteile a la „in deinem Alter“ vermeiden möchte – sie wird im August 80 Jahre. Hut ab vor diesem Pärchen!

Magic Mountain

Es ist mehr als drei Stunden her, dass das Flugzeug in Sydney gestartet ist. Ich sehe aus dem kleinen Fenster, nehme viel braun, rot, etwas grün und ocker wahr, jedoch nichts, woran meine Augen haften bleiben. Die Crew kündigt den baldigen Landeanflug zu DEM touristischen Hotspot Australiens an: dem Uluru.

Wir haben erst den halben Kontinent überflogen und spüren nun besonders die Grösse Australiens. Wer die Karten Europas und Australiens übereinander legt, sieht, dass der „alte Kontinent“ komplett in Australien hineinpasst. So gesehen würden wir uns auf dem Weg von Istanbul nach Dublin jetzt etwa in Frankfurt befinden. Das ist natürlich nicht exakt, dient aber vielleicht dem Vorstellungsvermögen. Als Stadtbewohner aus Deutschland verschiebt sich nun mein Massstab für das was weit ist und was nicht. 

Dann dreht die Maschine zum Landeanflug. Meine Augen wandern erneut über die Landschaft. Plötzlich bleiben sie haften. Da ist er, erst weit weg, dann schnell grösser werdend. Ein Leuchten ist nicht zu erkennen, eher ein grosser grau wirkender und rechteckig aussehender Felsen mit Furchen. Der Schleier der Hitze, des Staubs oder vielleicht einfach nur das dreckige Flugzeugfenster filtern scheinbar seine Stahlkraft. Ich weiss, das die gleichen Dinge zu einer anderen Tageszeit in einem anderen Licht und auch mit einem anderen Blick des Betrachters komplett unterschiedlich aussehen können. Deshalb schmunzele ich kurz zuversichtlich in mich hinein und geniesse die Landung.

Uluru ist der Name, den die Anangu, die seit zehntausenden Jahren hier leben, diesem besonderen Ort gegeben haben. Vor etwa 30 Jahren wurde das Gebiet um diesen mächtig wirkenden Felsen an die Ureinwohner Australiens zurück gegeben. Bis dahin war der riesige Stein auch als Ayers Rock bekannt. 

Wer diesen Ort besuchen möchte, kommt am „Uluru-Village“ nicht vorbei. Ausser in den dort zusammengefassten Hotels etwas unterschiedlicher Kategorien gibt es inmitten dieser heissen, trockenen und von extrem lästigen Buschfliegen bewohnten Landschaft keine Möglichkeit, zu übernachten oder etwas einzukaufen. Und dieses künstlich erschaffene Village muss eine Gelddruckmaschine für die Eigentümer sein. Ich fühle mich etwas an den Berliner Plänterwald, dem beliebtesten Rummel in der früheren DDR, kurz vor seiner Schliessung erinnert. Alles funktioniert noch, wirkt aber „abgerockt“ und ist überteuert. Unser „Outback-Pioneer-Hotel“ war noch recht günstig. Jedoch zahlt man hier schlicht das drei- bis vierfache des Üblichen. Sicherlich ist zu berücksichtigen, das alles, also wirklich alles von aussen herangeschafft werden muss, das Meiste davon mit dem Flugzeug. Der nächste Ort Alice Springs ist rund 470 Kilometer Landstrasse entfernt. Dieser Aufwand spiegelt sich eben auch in einem Teil der Preise wider. Der Mangel an Wettbewerb verschärft die Preisbildung. Da wir, wie wahrscheinlich die meisten Besucher nicht länger als zwei Nächte bleiben, nehmen wir es hin. Wir sehen es als Eintrittskarte zu einem spannenden Erlebnis an einem der ungewöhnlichsten Orte der Welt.

Eine kleine Rebellion gegen die hohen Preise haben wir uns dann doch erlaubt. Der Shuttle, der ein paar Mal täglich vom Village zum wenige Kilometer entfernten Uluru fährt, hätte uns 49 australische Dollar pro Person (etwa 31 Euro) gekostet. Für jeweils zwanzig Fahrminuten Hin und Rück war uns das dann doch zu üppig. Was ist die Alternative?

Klar, wir hübschen nochmal eine Einkaufstüte auf. All die Touristen mit ihren eigenen oder gemieteten Autos wollten ja schliesslich auch dorthin. So haben wir uns an die Strasse gestellt, unser Lächeln und den Daumen nach oben gezeigt. Obwohl es noch nicht zehn Uhr war, spürten wir schon die trockene Hitze in unseren Knochen. Erneut warten wir nicht lange, bis uns Boris, ein russischer Tourist, einlädt, einzusteigen. Yippie, unser Entdeckungstag beginnt erfolgreich.

Boris hält zunächst am Aborigini-Kulturzentrum, das etwa eineinhalb Kilometer vom Uluru entfernt liegt und wir ohnehin besichtigen wollen. Es führt den Besucher in die Geschichte dieses ältesten bekannten indigenen Volkes der Welt ein und enthält viel Wissenswertes über die Region. Mittags machen wir uns dann zu Fuss auf den Weg zum eigentlichen Grund unseres Besuches. Uns begegnen wenige Touristen. Wir sind spät dran.

Nun stehen wir vor ihm. Vor uns ein grosses Schild, das uns unmissverständlich bestätigt, das wir am richtigen Ort sind. Zwei wirklich nervige Themen müssen an dieser Stelle erwähnt werden:

  • Es scheinen sich viele Menschen wenig um die Würde und Kultur eines anderen oder des eigenen Landes und deren Bewohner zu kümmern. Es ist nicht zu überlesen, das ausdrücklich darum gebeten wird, diese heilige Stätte nicht zu besteigen. Dennoch klettern leider zu viele Ignoranten wie in einer Kette die etwa 350 Meter dort hinauf. Kann eigentlich jeder Hans und Franz den Kölner Dom oder die Elbphilharmonie besteigen? Ich stelle mir vor, welche Befindlichkeiten es beim bayrischen Bergvolk hervorrufen würde, wenn täglich hunderte asiatische Touristen das Märchenschloss Neuschwanstein nicht nur besuchen, sondern auch erklettern würden. Ab Ende Oktober 2019 wird das nicht mehr möglich sein. Wo Appelle nicht helfen, müssen wohl Verbote her. Wen das Thema näher interessiert, sei der kurze und aufschlussreiche Artikel der Neue Zürcher Zeitung vom 26.Juli 2019 empfohlen (NZZ Artikel)
Im Vordergrund die Bitte, im Hintergrund die Ignoranz.
  • Das Elend mit den Buschfliegen ist wirklich gross. Sie kleben an jedem von uns zu Dutzenden und versuchen, in alle möglichen Körperöffnungen zu fliegen und zu krabbeln. Ich würde es nicht erwähnen, wenn es nicht eine wirkliche Plage gewesen wäre. Zeitweise hatte jeder von uns mehrere Dutzend dieser harmlos wie Stubenfliegen aussehenden Biester am Körper. Meine Phantasie geht mit mir durch und ich habe das Bild von einem grossen Haufen Notdurft vor meinem inneren Auge. Falls ich ein schlechtes Karma haben sollte und im nächsten Leben mein Dasein als Kot fristen muss, habe ich heute eine ganz genaue Vorstellung davon, wie es sich anfühlen muss. Das hat den Genuss des Aufenthaltes geschmälert. Ich gebe es zu.
Freiwillige Vollverschleierung – ein Versuch, sich vor den Plagegeistern zu schützen.

Nun zum interessanten Teil: der etwa zehn Kilometer langen Wanderweg rund um den roten, braunen oder grauen Felsen. Die Farben wechseln je nach Lichteinfall und Uhrzeit, was nicht unbedingt einander bedingen muss. Ich staune über bizarre Felsformationen, die die Anangu teilweise als rituelle Orte genutzt haben. So hatten bestimmte Felsvorsprünge ihre Bestimmung als Rückzugsort für die Geburt, als Schule oder für Initiationsriten heranwachsender junger Männer.

Bemerkenswert sind auch die Höhlenmalereien, die an wenigen ausgesuchten Plätzen vorzufinden sind. Über deren Alter erfahren wir nichts, stellen uns aber vor, wie hier bereits vor bis zu 40.000 Jahren die Vorfahren der Anangu ihre Lebensweise pflegten. Das hierarchische System innerhalb der weitverzweigten Aboriginistämme soll sehr komplex gewesen und in seiner Detailiertheit (nicht in seiner Auswirkung) dem des Kastensystems in Indien vergleichbar sein. Die über ganz Australien verteilten Stämme waren miteinander verbunden. Sie haben (wie andere sogenannte Naturvölker auch) im Einklang mit der Natur gelebt und sich als ein Teil von ihr, nicht über sie stehend, verstanden. Rund zweihundert Jahre nach der Kolonialisierung und Ausbeutung von Rohstoffen, Flora und Fauna, kann auch in diesem Teil der Erde, wie anderswo auch, von einem Gleichgewicht zwischen den berechtigten Interessen der Menschen und dem Recht aller anderen Lebewesen auf ihren eigenen Lebensraum keine Rede sein.

Im Schatten einer Felsformation sammelt sich Wasser. Man könnte es einen Tümpel nennen. Sofort beginnt das Leben, sich den Raum zurück zu erobern. Einige Pflanzen und sogar Bäume wachsen um ihn herum. Auf einem Hinweisschild lese ich, das es am Uluru eine grössere Artenvielfalt gibt, als sich mir auf den ersten und ungeschulten Blick (ohne Brille) erschliesst: 416 Pflanzenarten, 26 verschiedene Säugetiere (und weitere 20 sind bereits ausgestorben), 173 Vogelarten, 73 verschiedene Reptilien, vier Froschtypen sowie über Tausend Spezies von wirbellosen Tieren. Vereinzelt hören wir Vogelgezwitscher und hoffen, das sie doch bitte einige der Buschfliegen jagen und verspeisen mögen. Aber Hilfe ist von den kleinen gefiederten Freunden nicht zu erwarten. Es ist früher Nachmittag und brütend heiss. Die drei Liter Wasser sind nach etwa einem Drittel des Weges zur Hälfte verbraucht.

Nach längeren Streckenabschnitten haben die Ranger schattenspendende Unterstände errichtet. Wir nutzen diese jedes Mal für eine Verschnaufpause.

Stellen, die (wie oben beschrieben) für die Anangu besondere oder gar heilige Bedeutung haben, dürfen nicht fotografiert werden. Das ist kein Problem, da es auch sonst genug zu knipsen gibt.

Nach etwa vier Stunden sind wir tatsächlich einmal herumgewandert. Wieder dauert es keine zehn Minuten und ein älteres australisches Ehepaar nimmt uns vom Parkplatz mit zur Unterkunft. Sie selbst sind mit dem Camper unterwegs und wollten sich einen ersten Eindruck verschaffen, bevor sie sich am Folgetag auf den längeren Spazierweg machen. Sie haben die lange Strecke von Perth (Westaustralien) auf sich genommen, um einmal im Leben diesen magischen Felsen zu sehen. Es sei noch erwähnt, das auch sie nicht hinaufklettern wollen. Das macht sie uns noch sympathischer.

Warum nenne ich ihn magisch? Weil er jenseits der Mythen und Geschichten um ihn, allein schon aufgrund seiner Erscheinung auf mich wie dahin gezaubert wirkt, wie ein riesiges Raumschiff auf einer flachen Ebene. Er ändert seine Farben wie ein Chamäleon, wenngleich ihn das Rot der Erde berühmt gemacht hat. Wir dürfen dieses Farbenspiel nochmal am folgenden Morgen beobachten. Neben den natürlichen Farbgebungen hat ein Künstler ein Lichterfeld installiert, welches mit seiner Vielfalt eine wunderbare Ergänzung zum natürlich Gegebenen darstellt. Die Verbindung von Kunst und Natur ist hier gelungen.

Ich verabschiede mich von diesem Ort, der mir bisher als einziger auf der Reise auch Tage und Wochen später in meinen Träumen begegnet. Ob das was zu bedeuten hat, weiss ich nicht. Ich bin jedenfalls sehr froh, hier gewesen zu sein.

Down Under

Nach drei Wochen auf Tonga versetzt uns der Flughafen Sydney, auf dem wir einen kurzen Zwischenstop einlegen, mit seiner breiten Auswahl an Shopping-und Verpflegungsmöglichkeiten zurück in die uns bekannte westliche Konsumwelt. Alle unsere Sinne werden angeregt oder besser über-erregt. Es riecht nach einem Potpourri aus Parfums und Cremes, der Boden glänzt hell. Überall werden angeblich unwiderstehliche Schnäppchen beworben, Musik der Boutiquen mischt sich mit den Durchsagen zu den Flügen und den Telefongesprächen der geschäftig umher rennenden Passagiere. Wir sind wieder an einem uns vertrauten Ort angekommen, wohl fühle ich mich allerdings nicht. Dieses Gewusel ist im Moment zu viel für mich. Dennoch bin ich dankbar über die grosse Auswahl an gutem und gesundem Essen, das uns hier geboten wird. Wir kaufen uns je einen üppigen Salat, verkrümeln uns in eine Ecke und fragen uns, diese Flughafenszene beobachtend, welchen Eindruck wohl die Tongaer haben müssen, die zum ersten Mal nach Australien fliegen und hier landen.

Ist das Fluch oder Segen für sie?

In Melbourne angekommen möchten wir gleich zu unserer Unterkunft, die im Stadtteil Heidelberg West liegt. Wir fahren an einer Dresden Street vorbei, sehen einen Aldi und biegen in die Altona Street ab. Willkommen daheim. Naja, fast. Anders als zu Hause sind wir hier Anfang Mai mitten im Herbst. Von den Laubbäumen fallen gelb – orangene – rote Blätter und in ihnen sitzen Scharen von laut schreienden, bunt gefiederten Papageien. Die Zikaden, die überall auf den Bäumen und Strommasten trommeln, scheinen mit dem Federvieh im Wettstreit um den lautesten Ton zu stehen. Am Strassenrand sehen wir jede Menge Eukalyptusbäume, die einen intensiven für uns ungewohnt-aromatischen Duft versprühen. Gleichzeitig werden wir Zeugen eines dramatisch schönen Sonnenuntergangs. Diese Art von Reizüberflutung gefällt mir allerdings viel besser als die auf dem Flughafen – ich bin gespannt, was uns Australien in den nächsten drei Wochen noch zu bieten hat. 

Die Tage in Melbourne vergehen schnell. In unserem AirBnB fühlen wir uns Dank der überaus freundlichen Gastgeberin, ihren zwei süssen Hunden und unseren schottischen Mitbewohnern sehr wohl. Zu viert besuchen wir einige der Sehenswürdigkeiten, verbringen einen ganzen Tag im Stadtmuseum, schlendern durch ein paar der zahlreichen Parks und können an einem Abend sehen, wie die Pinguine zurück an Land kommen. Die Bucht in dem Stadtteil St. Kilda ist eine der wenigen Orte weltweit, an der sich eine Pinguinkolonie an einer von Menschen errichteten Bucht angesiedelt hat und sich weder vom Stadtgetümmel noch von den vielen Touristen gestört fühlt.

Am letzten Tag holen wir unseren Campervan ab. Da es keine Hochsaison mehr ist, bekommen wir vom Vermieter ein kostenloses Upgrade. Ist das ein Upgrade oder sind das drei Upgrades? Was uns da geboten wird, ist ein „Tiny House“ mit Mercedes-Benz-Antrieb – das Auto ist drei mal so gross wie unser lieb gewonnener „Papa Schlumpf“ in Neuseeland. In ihm gibt es weit mehr als wir brauchen. Sogar ein Kühlschrank ist hier drin. Einen Namen hat dieses Gefährt jedoch nicht auf seiner Tür zu stehen und so taufen wir es kurzerhand „Das lange Elend“. Es wird uns in den nächsten 10 Tagen von Melbourne nach Adelaide bringen. 

Gleich außerhalb der Metropole treffen wir auf unsere erste Gruppe Kängurus. Was in der Schweiz die Kühe sind, sind in Australien die Kängurus. Sie stehen friedlich grasend vor uns und wissen nicht, wie besonders ihr Anblick für uns gerade ist. Der Kopf ist ganz nah am Boden, die kleinen Vorderpfötchen hängen locker herunter, das gesamte Gewicht des Tieres ruht auf den Hinterbeinen und auf dem riesigen, dicken Schwanz. Wir trauen uns noch ein Stückchen näher heran. Die Gruppe besteht aus einer Vielzahl mittelgrosser Exemplare, einigen Kleinen und einem sehr stattlichen Tier. Dieses sieht uns auch zuerst. Es richtet sich auf, schaut uns an, schnüffelt ein wenig in unsere Richtung und entscheidet sich, davon zu hüpfen. Auch die anderen gucken nun hoch und machen es dem Anführer nach. Ich bin fasziniert, was für riesige Hopser diese Tiere machen und wie leicht ihnen dieses Hüpfen zu fallen scheint.

Auf unserer Reise begegnen wir noch vielen Kängurus und begeistert von ihrem Körperbau und ihren runden, braunen liebevollen Augen bleibe ich immer stehen, um sie zu beobachten. Die einzigen Momente, in denen wir auf keine der grossen Beuteltiere treffen wollen ist, wenn es draussen dämmert und wir noch mit dem Auto unterwegs sind – das ist die gefährlichste Zeit und die Unfallrate ist hoch. Zu viele der wunderschönen Tiere liegen rechts und links tot am Strassenrand. 

Wir fahren die berühmte und beliebte Küstenstrasse „Great Ocean Road“ entlang, machen aber auch immer wieder Abstecher ins Landesinnere, wo wir uns Wasserfälle anschauen, einen wunderschönen Spaziergang durch ein Stückchen des ursprünglichen Regenwaldes machen, auf eine fleischfressende Schnecke stossen und sogar einmal auf wilde Koalas treffen. 

Die Strecke an der Küste entlang ist so schön, dass wir alle paar Kilometer einen kleinen Stop einlegen, um die Natur zu bestaunen und Fotos zu machen.

Je näher wir dem Städtchen Port Campbell kommen, auf desto mehr andere Autos, Campervans und Reisebusse treffen wir. Denn hier in der Nähe steht die nach dem Uluru (früher „Ayers Rock“) meistfotografierte Sehenswürdigkeit Australiens – die zwölf Apostel. Dies sind jedoch weder die bekannten Freunde von Jesus, noch sind es zwölf. Es handelt sich hierbei um Felsformationen, die das Meer über Millionen von Jahren geformt hat. Jedes Jahr spülen die Wellen rund einen Zentimeter der Kalksteilküste ab. Nur die Bereiche, an denen der Stein fester ist, trotzen dem Meer und bleiben bestehen. So entstanden ganz langsam diese um die 60 Meter hohen Felsbrocken. 

Früher hiessen diese Steinsäulen übrigens „die Sau und die Schweinchen“, aber irgendjemand hat wohl in den 60er Jahren gedacht, dass „Zwölf Apostel“ seriöser klingt und mehr Touristen anlocken könnte. Oh ja, die Touristen sind auf alle Fälle da. Der Parkplatz war, obwohl Nebensaison, voll und wir fühlten uns schlagartig nach Asien versetzt. 

Nach diesem Highlight fahren wir wieder weg vom Meer und bekommen eine Idee, wie das Land abseits der Küste aussehen mag. Es ist sehr trocken und sandig. Auch in diesem Sommer fiel in dieser Region wenig Niederschlag. Die Menschen und die Natur litten erneut unter Rekordhitze.

Ein rosa schimmernder Salzsee ist fast ausgetrocknet. Er wirkt auf eine sehr bizarre Weise wunderschön.

Im Mai waren in Australien Wahlen – bei all den Wetterextremen mit denen das Land in den letzten Jahren zu kämpfen hat, ist es uns nicht verständlich, wieso ein konservativer Politiker, ein bekennender Kohleabbaufreund im Amt bleiben darf. Ein Umdenken im Klimaschutz wird es wohl von staatlicher Seite am anderen Ende der Welt nicht geben. Die Australier, mit denen wir nach dieser Wahl gesprochen haben, waren stark enttäuscht und verärgert – zu Recht.  Und trotzdem verlieren sie nicht Ihren Humor. Dieses Plakat ist uns positiv aufgefallen. Darauf ist in Grossbuchstaben folgendes zu lesen:

Besorge dir einen Schwimmreifen.*

Und ganz unten, ganz klein kommt die Auflösung:

*Der Meeresspiegel steigt weiter an. Diese Nachricht wird dir im Namen des Klimas übermittelt. 

Denn wenn schon die grosse Flut kommt, verhelfen einem die Schwimmreifen wenigsten dazu, den Kopf über Wasser zu halten und in Down Under nicht wortwörtlich „unten drunter“ zu sein. 🙂

In einer anderen Welt

Nach diesem „Once in a Lifetime und nie wieder – Erlebnis“ der 16-stündigen Überfahrt kommen wir gegen Mittag endlich auf Ha`apai an. Meine Freude, wieder festen Boden unter den Füssen zu haben ist ungefähr so gross, wie bei einem Kind, das als erstes einen schönen grossen Pilz im Wald findet. Wie müssen sich wohl die Seefahrer früherer Jahrhunderte gefreut haben, wenn sie nach mehreren Wochen auf dem Ozean endlich Festland betraten?

Heute gibt es keinen Kaffee. Die vierfache Verriegelung weist auf eine längere Schliessung hin. 

Das Café, das wir uns vorab aus dem Reiseführer als einen ersten Anlaufpunkt herausgesucht haben, ist geschlossen. Wir erfahren, das die Betreiberin noch für weitere sechs Wochen auf Heimaturlaub in Polen ist. Müde und etwas ratlos erblicken wir hinter dem Café etwas, das nach einer Fremdenherberge ausschaut. Es dauert nicht lange bis eine freundlich übergewichtige Frau auf uns zukommt und uns unseren Eindruck bestätigt. Wir inspizieren eins, zwei Zimmer und beschliessen kurzentschlossen, eine Nacht zu bleiben. Diese Absteige an der Strasse ist nicht die Unterkunft, die wir uns für die nächsten Tage vorstellen, aber in Abwesenheit von Alternativen ist es zumindest für eine Nacht schon in Ordnung. Wir träumen von einer einfachen Hütte direkt am Strand und mit einer Hängematte zwischen Palmen. Das Internet schlägt uns mit diesen Kriterien nur zwei ziemlich hochpreisige Ressortanlagen am anderen Ende der Insel vor. 

Fest davon überzeugt, das es auch eine Realität jenseits des Internets gibt, setzen wir darauf, das es noch weitere und vor allem bezahlbare Unterbringungsmöglichkeiten geben muss.

Wir werden wie so oft auf unserer Reise nicht enttäuscht und unsere Zuversicht wird bestätigt. Ein Fleischberg von Frau in der Tourismusinformation wiederholt zunächst im Wesentlichen die Resorts, die wir schon kennen. Ungewöhnlich ist, wieviel Zeit sie sich bei allem lässt und welche Bedeutung sie dem Gesagten verleiht, so als würde sie uns gleich das Geheimnis ewiger Jugend preisgeben. Die Pause zwischen unseren Fragen und ihren Antworten ist so lang, das ich mir nicht sicher bin, ob sie nachdenkt oder gerade Powernapping macht. Ich glaube, ein geduldiger Zeitgenosse zu sein. In diesen Tagen auf Tonga, besonders aber auf der Insel Ha`apai, komme ich mir jedoch wie ein junges Äffchen unter gechillten Schildkröten vor. Aber auch das ist ja Bestandteil unserer Reiseerfahrungen. Ich stelle mich darauf ein. Das kann ich gut. Nach einer wie beschrieben langen Wartezeit scheint ihr plötzlich eine Idee einzufallen- sie reisst die Augen auf und lächelt. Old Tonga Beach –  diese Anlage würde kurz vor der offiziellen Registrierung als Ferienunterkunft stehen und sollte unseren Preisvorstellungen entsprechen. Das tut sie!

Ein Plätzchen direkt am Strand und zwei Hängematten zwischen Palmen mit Meerblick am absoluten Ortsrand mitten im Busch. Zwei Hütten für jeweils zwei Personen sind schon gebaut und bezugsfertig, eine Dritte ist noch geplant. Es gibt eine Gemeinschaftsküche mit überdachter Terrasse und drei Tischen sowie passender Bestuhlung. Daneben steht ein Häuschen mit Dusche/Toilette für alle Gäste. Verwendet wird Regenwasser. Licht gibt es aus der Solarstromanlage vom Dach, das Gas für den Herd kommt aus der Gasflasche. Steckdosen sind hier allerdings Fehlanzeige. Ich merke wie abhängig wir doch sind. Steckdosen oder Ladestationen für elektronische Geräte sind ja bekanntlich die neuen Brunnen. Schliesslich kommt das Wasser hier in Form von Regen verlässlich mindestens ein Mal pro Tag von oben, aber für eine Steckdose ist die dürftig zusammengekittete Solaranlage wohl zu schwach. Unsere Powerbank liefert unseren Geräten Strom für die ersten sechs Tage. Danach muss der Grundstücksbesitzer den benzinbetriebenen Generator anwerfen, um alles wieder aufzuladen. 

Unsere Vermieter, froh über uns unerwartete Vorsaison-Gäste, geben sich sehr viel Mühe mit uns und leihen uns unter anderem ihre private Schnorchelausrüstung aus. Im Ort gibt es in den von chinesischen Einwanderern geführten Minimärkten so etwas nicht. Und überhaupt ist die Auswahl dort sehr übersichtlich. Ich habe ein Déjà-vu und fühle mich wie von einer Zeitmaschine in die DDR der siebziger Jahre zurück versetzt. Das, was wir suchen gibt es nicht, dafür aber vieles, was wir nicht brauchen: Tischdecken, Plastikeimerchen und Wäscheständer. Da es sonst nicht viel zu tun gibt auf Ha`apai, sind wir froh über die Schnorchelausrüstung. Wir probieren sie noch am gleichen Tag aus und sind im Wasser.

Ich spüre die Brille, die sich eng in mein Gesicht presst. Es fühlt sich an wie eine Saugglocke, die mit grossem Appetit alle Mitesser einatmet. Es darf kein Wasser hineindringen. Der Schnorchel wird an einer Seite an die Taucherbrille fixiert, damit dieser nicht wie ein zu kleiner Strohhalm in einem zu grossen Kino-Cola-Trinkbecher hin-und herwackelt. 

Es ist flach und wir stellen fest, das wir nur wenig Platz zwischen uns und den Seepflanzen und später auch den ersten Korallen haben. Um uns an den scharfen Korallen nicht zu verletzen, erkundigen wir uns nach den Gezeiten, so das wir an den Folgetagen erst bei Flut wieder ins Meer gehen. Unsere Ausflüge werden von Tag zu Tag länger. Wir haben Spass, obwohl zumindest meine Schwimmkünste überschaubar sind und sicher nicht Rettungsschwimmerqualtitäten haben. Während Jana recht geschmeidig und ausdauernd durch das Wasser gleitet, fühle ich mich eher wie ein Eisbär, der über kurze Strecken schnell und wendig agiert, jedoch froh ist, bald wieder auf seiner geliebten Eisscholle zu pausieren.

Schnorcheln – Eine Filmkomödie. (Ton an macht mehr Spass)

Ich bin beeindruckt von der Vielfalt des Lebens unter Wasser: Blaue Seesterne, Seegurken oder einfach nur jede Menge farbiger Fische. Deutlich wird auch, das sie sich vor allem an den Korallen aufhalten. In den Abschnitten, wo es nur Sand, Steine oder Muschel – bzw. Korallenreste zu sehen gibt, sind kaum Fische vorzufinden. Einmal bekommen wir nur wenige Meter unter uns tatsächlich eine schwarzweissgestreifte Seeschlangen zu Gesicht. Diese sind hochgiftig, jedoch absolut nicht an Menschen interessiert. Trotzdem mischt sich in die Entdeckerfreude ein kleiner Schrecken. Und immer wieder gibt es diese wunderbaren Momente, wenn ich in einen Schwarm kleiner blauer Fische hinein schwimme und für Sekundenbruchteile ein Teil von ihnen zu sein scheine.

Einmal in der Woche findet in Hafennähe ein Markt statt. Nach Tagen der unfreiwilligen Obst- und Gemüseabstinenz hoffen wir so sehr darauf, dort nun endlich frisches Grünzeug kaufen zu können. Wir sehen vier Stände, die es unter der Woche dort sonst nicht gibt: einer bietet Klamotten an, einer grillt Fleischspiesse, eine Frau verkauft selbstgebackenen Kuchen und am letzten Stand werden grüne Blätter angeboten. Wir freuen uns schon und hoffen auf eine Art regionalen Spinat. Unsere Enttäuschung ist jedoch gross, als uns gesagt wird, dass dies die Blätter sind, in denen man das Fleisch zum Grillen einwickelt. Essen kann man die Blätter nicht. Oh je, es bleibt also alles beim Alten. 

Warum ist auf einer Insel, auf der quasi alles wachsen könnte, kein frisches Obst und Gemüse erhältlich? Unsere Gastgeber lächeln auf unseren Frage hin. Bananen, Melonen und Wurzelgemüse wachsen bei jeder Familie wild im Garten. Kokosnüsse und Papayas holen sie sich bei Bedarf aus dem Busch. Und der Bedarf ist, wie wir bereits wissen, eher gering. Wenn demnach alle haben, was sie brauchen, wozu soll man es da auf dem Markt anbieten? Klingt irgendwie logisch, nützt uns aber nichts. 

Die Geringschätzung vegetarischer Kost wird unter anderem auch dadurch ausgedrückt, das die reichlich vorhandenen Kokosnüsse selten auf dem eigenen Teller landen, sondern an die vielen frei herumlaufenden Hausschweine verfüttert werden. Das Aroma beim späteren Verzehr dürfte ziemlich einzigartig sein, was wir jedoch nie erfahren werden. Letztlich bleibt uns nicht anders übrig als verschrumpelte, importierte Äpfel, Orangen und Birnen aus Neuseeland in den chinesischen Mini-Shops zu kaufen. Was für ein Frevel.

Unsere Gastgeber zeigen sich verständnisvoll und bringen uns nun regelmässig frische Kokosnüsse und Papayas aus dem Busch mit. Jana und ich werden sogar im Kokosnussspalten fachgerecht unterwiesen, damit wir auch ohne fremde Hilfe nicht an der harten Nuss verzweifeln. Das dafür benötigte Werkzeug, eine Machete, wird uns für die Zeit des Aufenthaltes überlassen.

Zweimal gehen wir tatsächlich auch selbst mit der Machete bewaffnet in den Busch und erjagen uns zwei Papayas. Eine willkommene Abwechslung zu den trockenen Winteräpfeln. 

Auf zwei Ausflügen mit einem gemieteten Auto an das andere Ende der Insel lernen wir die eingangs erwähnten Ressorts kennen. Diese liegen unmittelbar nebeneinander, sind hübsch gestaltet und bieten natürlich etwas mehr Komfort (zum Beispiel Steckdosen und Sitzsäcke). Sie haben jeweils ein Restaurant, in denen wir eine Pizza und einen Fallafelwrap geniessen. Allerdings herrscht auch hier ein Mangel an dem, was wir bereits überall auf der Insel vermissen. Der schöne breite Sandstrand und das türkisfarbene Meer laden uns zum Schnorcheln ein. Allerdings bleiben wir nur Tagestouristen. Wir erwecken augenscheinlich Interesse, als wir berichten, dass wir uns am anderen Ende der Insel ebenfalls direkt am Strand eingemietet haben. Das Wissen darum, das hier zwei Übernachtungen soviel kosten wie zehn Tage an unserem kleinen Privatstrand, gibt mir das gutes Gefühl, alles richtig gemacht zu haben.

Wir zweckentfremden den Sitzsatz des Luxusressorts und liegen auf ihm.
Fahren ohne Führerschein und ohne Schuhe.

Einen Führerschein oder sonstige Nachweise will übrigens keiner sehen. Aber was soll auch schon passieren auf einer kleinen Insel, auf der jeder jeden zu kennen scheint und nur zweimal in der Woche eine Fähre anlegt. Die Fahrtzeit von einem zum anderen Ende beträgt etwa 30 Minuten ohne Zwischenstopp bei einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h. Mehr lassen die Strassenverhältnisse nicht zu.

Auffällig ist die grosse Anzahl von Kirchen und Grabstätten. Auf Tonga dominieren die sogenannten Freien Kirchen (Methodisten, Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage/Mormonen, Siebenten-Tags-Adventisten und Assembly of God sind die vier grössten Gruppen). Diejenigen, die es sich leisten können, nutzen die Möglichkeit, ihre Verstorbenen auf ihren privaten Grundstücken zu beerdigen. Dadurch scheint die Religion und der Tod visuell präsenter als gewohnt. Die Gräber wirken nicht düster, eher bunt, mit Fähnchen, Windrädern oder Permanentfotos der Verstorbenen. Über einem Grab hängt sogar ein riesiges Schild mit „Happy Birthday“, was schon etwas makaber auf uns wirkt. 

Insgesamt habe ich den Eindruck, das die meisten Menschen in Tonga zwar materiell (sehr) arm sind, sich jedoch gegenseitig helfen. Zumindest habe ich keine Obdachlosen oder vereinsamte, alleingelassene Menschen wahrgenommen. Jeder scheint irgendwie aufgefangen zu werden und bekommt eine Aufgabe. Dafür wird er durch eine kirchliche und familiäre Gemeinschaft unterstützt. Die Anteilnahme und Hilfe der Familien untereinander ist stark ausgeprägt. Fremden gegenüber habe ich stets respektvolle Freundlichkeit erlebt. Nie habe ich mich bedroht gefühlt. Dieser würdevolle Umgang der Menschen miteinander hat mir sehr gut gefallen. Das ist eine Erkenntnis, die mich auf der weiteren Reise begleiten wird.

Elf Tage nach unserer Ankunft besteigen wir für den Rückweg wieder eine Nussschale, diesmal mit zwei Tragflächen und zwei Propellern. So müssen sich die „Männer in den fliegenden Kisten“ kurz nach der Erfindung der bemannten Luftfahrt gefühlt haben. Zwischen Start und Landung liegen nur 45 Minuten. Die vielen kleinen und grösseren Inseln unter uns erinnern an Fruchtstücke in einem Joghurt. Nach Essen ist uns auch bei der Rückreise auf die Hauptinsel nicht zumute.

Nach der Landung wartet Sam erneut mit dem Wagen auf uns, um uns abzuholen und uns in das vertraute Gästehaus auf Tongatapu zu fahren. Ich bin froh, ein bekannte Gesicht zu sehen. Ja, Ha`apai ist eine andere Welt und war für mich ganz bestimmt ein kleines Abenteuer. War es waghalsig? Nein. Ein Zitat von Paulo Coelho aus meinem Notizbuch fällt mir dazu auf: „Wer denkt, Abenteuer seien gefährlich, sollte es mal mit Routine versuchen: Die ist tödlich.“

Eine Seefahrt, die ist …lustig?

Die Dame am Ticketschalter der Fährgesellschaft und ich kennen einander. Ich bin nicht das erste Mal hier. Also was soll es denn nun sein:

  • Einzelkabine mit Verpflegung
  • Einzelkabine ohne Verpflegung
  • Freie Platzwahl mit Verpflegung
  • Freie Platzwahl ohne Verpflegung

Wer uns ein bisschen kennt, der weiss natürlich, welche Kategorie wir wählen.

Hafenimpression: der Wartebereich

Mit dem Ticket in der Hand und unseren Rucksäcken auf dem Rücken gehen wir in den teilweise überdachten, aber offenen Wartebereich. Wir haben auch eine Einkaufstüte voller Notproviant bestehend aus Tofu, Mandelmilchpulver, Sojageschnetzeltem und Nüssen dabei. Diese Eiweissleckereien haben wir aus weiser Vorahnung (ok, ok und Google) noch in Neuseeland gekauft.

Was da bei den Menschen unter dem Arm klemmt, sieht aus wie eine grosse Sushi-Rolle aus Bettdecken.

Einige Männer warten sitzend und quatschen miteinander. Sie sind wie die meisten Frauen hier, sehr gross und wirken kräftig. Keiner mit dem man sich um einen Keks streiten möchte. Ich bin froh, dass Micha neben mir sitzt und mit der Zeit auch einige Familien mit kleinen Kindern eintreffen. Viele von ihnen haben in Strohmatten eingerollte Decken und Kopfkissen dabei.

Die Zeit bis zum Boarding vergeht nur langsam. Es fängt an, leicht zu regnen. Wir beobachten die Familien, wie sie schutzsuchend unter den überdachten Flächen zusammenrücken. Wir sind freundlich und lächeln den wartenden Menschen sowie den tobenden Kindern um uns herum zu. Sie lächeln alle zurück. Ist es nur die uns bereits vertraute Freundlichkeit oder schwingt da auch ein „Ihr-wisst-ja-gar nicht-was-euch-erwartet“- Grinsen mit? Wir haben in der Tat keine Ahnung, was da in den nächsten Stunden auf uns zukommen wird.

Anders und vielleicht auch aufregend wird es, das vermuten wir. Schon die unmittelbare Reisevorbereitung für diese Überfahrt war ein kleines Abenteuer. Ein Rückblick:

Auf dem Flyer steht, dass die Fähre einmal pro Woche entweder Montags oder Dienstags um 19 Uhr ablegt. Man solle sich vorab erkundigen. Das tun wir im Touristeninformationszentrum und erfahren, dass der Termin noch nicht fix ist, dass sie jedoch wahrscheinlich am Dienstag um 18 Uhr abfährt. Wir sollten uns dies einen Tag vor Abreise nochmal bestätigen lassen. Wir rufen rechtzeitig an. Ja, tatsächlich die Fähre fährt diese Woche am Dienstag ab, und zwar um 19 Uhr. Hmm. Ich beschliesse zum Hafen zu gehen und bei dem Betreiber direkt nachzufragen. Ein Verpassen der Fähre wäre schliesslich auch blöd, wenn sie so selten fährt. Die propere Dame am Ticketschalter nickt freundlich und bestätigt 18.00 Uhr. Alles klar. Geht doch.

Und hier stehen wir nun, gespannt wartend und froh, dass soweit erstmal alles ganz gut geklappt hat. Die Fähre wird noch immer beladen – bereits gestern habe ich sehen können, wie Container auf das Schiff gehoben wurden. Auch jetzt herrscht noch ein reges Treiben – nun werden zahlreiche Kühlschränke und Waschmaschinen einzeln auf die Fähre befördert. Die Menschen müssen sich noch gedulden.

Irgendwann kurz vor 18 Uhr wird der Absperrzaun geöffnet und die Passagiere dürfen über einen kleinen Steg das Schiff betreten. Es gibt kein Speedy Boarding und es bedarf auch keiner dreisprachigen Durchsage, dass Familien mit kleinen Kindern zuerst an Bord gehen dürfen. Das scheint hier jedem klar zu sein. Und so reihen wir uns irgendwo in der Mitte ein und besteigen das Schiff, welches in den nächsten 16 (!) Stunden unser Zuhause sein soll.

Wer jetzt denkt, dass wir riesige Strecken auf dem noch riesigeren Pazifik zurücklegen werden, der irrt. Unser Reiseziel, die Inselgruppe Ha’apai liegt nur 180 Kilometer nördlich von Tongatapu. Also eigentlich nur ein Katzensprung, der einer etwa zweistündigen Autofahrt auf einer deutschen Landstrasse entspräche, jedoch eine halbe Ewigkeit auf einer Fähre dauern kann.

An Board steigen wir achtsam über die schon ausgelegten Matten und Matratzen der lokalen Mitreisenden. Die ersten Familien haben sich bereits im Gang eingerichtet – freie Platzwahl eben. Im Nachhinein kann ich diese Präferenz absolut nachvollziehen – hier ist es überdacht (schützt vor dem Regen), relativ eng (weniger Schaukelspielraum), angenehm warm und luftig. 

Im Moment des Betretens erkennen wir all diese Vorteile jedoch noch nicht und sind froh über eine kleine Ecke in einem klimatisierten Raum, die noch frei ist. Da alle anderen sofort Ihre Matten ausbreiten und uns nichts besseres einfällt, halten wir es ebenso.

Es ist 19 Uhr. Das Schiff steht noch im Hafen. Wie wohl überall in der Welt, „wenn jemand eine Reise tut“ wird kurz nach Platzsicherung auch hier auf Tonga erstmal das mitgebrachte Essen ausgepackt. Nur, dass hier natürlich niemand geschmierte Brote und ein Stück Gurke aus einer wiederverwendbaren, PVC-freien und spülmaschinenfesten Tupperdose auspackt. Hier gibt reichlich Instant-Nudeln, Chips, Dosenfleisch und Kekse.

Alles ist gut, wir haben einen tollen Platz abbekommen und unsere unmittelbaren Nachbarn scheinen nett zu sein. Ich hole mein Buch heraus und freue mich auf mindestens drei Stunden Lesezeit bis zum Schlafengehen. Ich sitze also auf meiner Isomatte, den Rücken an die Wand gelehnt. Kaum, das ich die ersten paar Zeilen gelesen habe, läuft rechts von mir die erste kleine Kakerlake in mein Blickfeld. Ich drehe den Kopf und sehe auch gleich ihre grosse Familie. Na toll. Die nächsten Minuten verbringen wir mit Kakerlaken verscheuchen. Sinnlos. Der Familienvater neben uns beobachte unsere Bemühungen und lächelt uns milde an.
Ist es das nicht das gleiche Lächeln, wie zuvor im Wartebereich?

Kurz nach 19 Uhr scheint es loszugehen, es ruckelt und holpert. Die Menschen um uns herum packen ihr Essen ein, legen sich alle auf ihre Matten und machen sofort die Augen zu. Ich wundere mich noch über diese frühe Bettstunde, merke jedoch schnell, dass hier niemand wirklich müde ist. Das Hinlegen dient alleine dem Aufrechterhalten des Wohlbefindens. Auch wir begeben uns nun in die Horizontale und beobachten auf dem Bauch liegend die Szene. Jetzt noch zu stehen wäre gefährlich. Das Schiff schaukelt mittlerweile dermassen, dass die paar freistehenden Koffer in unserem Raum hin und her rollen. Die dösenden Besitzer scheint das jedoch nicht weiter zu stören. Das Licht im Raum ist grell, aus den Lautsprechern kommt der laute Ton eines Actionfilms, der irgendwo in einem anderen Raum auf einem Fernseher gezeigt wird.

Ein perfektes Produkt: dezentes Design, wertig in der Verarbeitung, einfach im Gebrauch und kostengünstig in der Produktion. Davon hätten wir gut und gerne eine Grosspackung gebrauchen können.

Die Klimaanlage ist an. Ich merke, dass mir immer kälter wird. Irgendwann richte ich mich auf, um einen zusätzlichen langen Pullover aus dem Rucksack zu ziehen. Dieses kurze Hinsetzen ist zu viel für mich. Ich empfand vorher bereits ein intensiv-flaues Gefühl in der Magengegend. Nun ist mir kotzübel. Ich muss mich schnell wieder hinlegen. Wo sind eigentlich die kleinen Tüten, die jeder Passagier in einem Flugzeug in den Sitztaschen vor sich findet?

Ich kenne meinen Magen, gut geht es ihm nicht. Keine Sitze, keine Sitztaschen, keine Kotztüten.

Ich überlege schnell, was wir in unserer Provianttasche an überflüssigen Plastiktüten dabei haben und …. muss auch schon hineingreifen. Ich schaffe es gerade noch zu den nicht abschliessbaren Flächen, an denen ein Toilettenzeichen zu sehen ist, nichts worin ich normalerweise eine Sekunde verbringen würde. Dann gibt es kein Halten mehr…

Die Zeit bis zum ersten Stop verbringen wir auf dem Rücken liegend. Es ist die einzige Position, in der wir es einigermassen aushalten. Micha sieht zwar auch nicht gerade wie das blühende Leben aus. Er scheint aber etwas weniger empfindlich zu ein.

An Schlaf ist nicht zu denken, also lassen wir uns von Podcasts berieseln – jeder hat einen Kopfhörer im Ohr. Die Konzentration auf das Gesagte hilft dabei, uns zumindest gedanklich an einen angenehmeren Ort zu versetzen. Jedesmal wenn das Schiff sich neigt, fühle ich, wie sich meine Organe in mir im selben Winkel drehen. Zudem bin ich in einem Zustand der absoluten Gleichgültigkeit und staune über die Fähigkeit des Geistes. Natürlich sehe ich die Kakerlaken neben mir umherlaufen, aber es ist mir jetzt egal. Kakerlaken tun nichts, sie laufen einfach nur herum. Und ich liege hier, unfähig mich zu bewegen. Ich lasse es geschehen.

Ein Bildschirmfoto unserer Position irgendwann in der Nacht. Ein blauer Punkt im Nichts.

Irgendwann verringert sich das Schaukeln. Wir hören, wie der Anker ausgerollt wird. Es ist der erste von insgesamt drei Stops in dieser Nacht. Endlich können wir uns aufrichten, durchatmen und einen Schluck Wasser trinken. Es ist kurz nach Mitternacht und wir sind gerade einmal 50 Kilometer vom Abfahrtshafen entfernt. All diese Stunden für eine so kurze Strecke! Die Fähre hat demnach ein Durchschnittstempo von einem mittelmässigen Hobbyläufer bei einem Stadtmarathon. In diesem Moment freue ich mich, dass wir kein Ticket nach Vava’u gekauft haben – die Inselgruppe ist der letzte Stop nach insgesamt 310 Kilometern. 

Hauptsache liegen – ein Platz findet sich überall.

Die restlichen Stunden der Nacht verbringen wir genauso auf dem Rücken liegend, wie vorher auch. Das grelle Licht im Raum stört überhaupt nicht, die schnarchenden Menschen neben uns auch nicht, der laute Ton aus den Lautsprechern ist uns egal und an die kalte Luft haben wir uns nun wohl genauso gewöhnt, wie an die Krabbeltierchen. Die Podcast-App spielt ohne Anzuhalten alle geladene Folgen ab – es ist ein kunterbunter Mix aus Nachrichten, Reiseberichten, Interviews und Reportagen. Irgendwann schlafen wir dann doch für ein paar Stunden ein.

Als die Fähre ein weiteres Mal anhält ist es kurz nach 6 Uhr. Wir nutzen den Stop und gehen nach draussen. Es ist noch recht dunkel, trotzdem können wir sehen, dass wir vor einer Insel geankert haben. Kleine Fischerboote kommen auf unser Schiff zu. Zunächst wird ihnen Gepäck in Form von Taschen, Koffern und Kartons zugeworfen. Sobald sie voll sind, fahren sie wieder an Land. Andere kleine Boote kommen nun heran, um Passagiere abzuholen. Es ist interessant zu beobachten, wie alles, was hier ausgeladen werden soll auch ausgeladen wird und jeder Passagier ein Plätzchen auf einem der vielen kleinen Boote findet. Der ganze Stop dauert über eine Stunde. 

Bis nach Ha’apai ist es nun nicht mehr weit. Nur noch 40 Kilometer und das Schaukeln lässt zum Glück nach . Micha fühlt sich wohl genug, ein paar Kekse zu essen und einen Kaffee zu trinken. So zuversichtlich bin ich nicht. Ich lege mich nochmal auf die Isomatte und versuche zu schlafen. Der relativ ruhige Seegang hilft dabei. Ich träume vom Strand, von der Sonne, die meine Haut wärmt, von festem Boden unter mir und von meinem Buch, dass ich dann endlich werde lesen können.

Willkommen in den Tropen

Neuseeland hat uns mit seinem abrupt einsetzenden Herbstanfang Anfang April darauf aufmerksam gemacht, dass es Zeit wird, weiter zu reisen. Die letzten Tage wurden immer kälter und ungemütlicher. Unsere Reise durch Neuseeland fühlte sich an wie ein fabelhafter Samstagabend in einer guten Diskothek – wir haben nette Leute kennengelernt, die eine oder andere Telefonnummer eingesteckt, leckere Drinks geschlürft und die Nacht durchgetanzt . Die Musikmischung war perfekt und wie erwartet wurde irgendwann das Lied „The Time Of My Life“ aufgelegt. Der immer öfter auftretende Regen sowie die kalten Nächte waren wie ein Abschiedslied à la „Dirty Dancing“ – das allgemein bekannte Zeichen, dass der DJ bald Feierabend machen möchte. 

Unser nächstes Reiseziel hatten wir bereits in Deutschland festgemacht. Eine Insel in der Südsee sollte es sein und zwar Tonga. Wir entschieden uns für diese relativ unbekannte Inselgruppe, weil es dort nicht allzu touristisch sein sollte, wir so unser Budget schonen konnten und weil es der einzige Staat in der Pazifikgruppe ist, der in seiner gesamten Geschichte stets unabhängig blieb.

All das klang irgendwie sympathisch.

Tonga, ein Königreich mitten im grossen blauen Pazifik.

Gelandet sind wir in Nukuʻalofa, der Hauptstadt Tongas. Diese befindet sich auf Tongatapu, der grössten der 170 zum Staat gehörenden Inseln. Obwohl es bei unserer Ankunft schon weit nach 23 Uhr war, knallte uns eine extrem schwüle und heisse Luft entgegen, sobald die Türen des Flugzeugs aufgemacht wurden. Zudem roch es stark nach Kerosin. Sofort hatte ich das Gefühl, kaum Luft zu bekommen. Egal wie tief ich einatmete, der Sauerstoff in der Luft schien mir nicht zu reichen. Die Transpiration setzte sofort ein. Ich fühlte mich wie in einer Sauna nach dem ersten Aufguss, wenn der Saunawart zur Verteilung der heissen Luft das Handtuch schwingt.

Willkommen in den Tropen. 

Die meisten Touristen bleiben hier keine einzige oder vielleicht gerade mal eine Nacht – zu verlockend sind die vielen kleinen Inselchen mit ihren weissen Traumständen und den Korallenriffen. Ausserdem ist die etwa 260 Quadratkilometer grosse Hauptinsel sehr schnell erkundet. Es gibt ein paar Reiseagenturen, die alle die gleichen drei Touren anbieten – die Vormittagstour führt durch den Ostteil der Insel, auf der Nachmittagstour erkundet man den Westteil und wer es ganz eilig hat oder sich nicht entscheiden kann, der bucht am besten eine Ganztagestour. So einfach ist das.

Wir haben es jedoch nicht eilig und verbringen fast eine Woche auf Tongatapu. Nach den vielen Eindrücken in Neuseeland und dem ständigen Ortswechsel geniessen wir es, eine Woche am gleichen Ort zu sein. Zudem ist es herrlich angenehm, dass Nukuʻalofa eine Hauptstadt ist, die nicht mit den Top 10 „Must Do´s“ lockt. Wir wollen auch mal Nichts tun müssen.

Wir verbringen die Tage mit Fotos sortieren, längst überfällige Blogartikel schreiben, verschiedenes zu lesen und Obsteinkäufen auf den Märkten. An den Abenden geniessen wir das eine oder andere Glas Wein und die Gespräche mit unserem Zimmernachbarn Mike – einem Australier, der für ein paar Monate in Tonga in der Katastrophenprävention arbeitet.

Leckeres Obst und Gemüse gibt es hier reichlich – nur leider ist es bei den meisten Einwohnern nur die Beilage.

An einem Tag mieten wir uns dann aber doch ein Auto und nehmen uns einen ganzen Tag (!) Zeit für den Westteil der Insel. Wir besuchen die Stelle, wo der Holländische Segelfahrer Abel Tasman 1643 zum ersten Mal auf Tongaer traf und seine Eindrücke schriftlich festhielt. Er beschrieb sie als ein friedliches und freundliches Volk – dies können wir heute nur bestätigen.

Weiter an der Küste entlang treffen wir auf einen riesigen Felsen, der recht verloren in der Ebene steht. Wenn man nah genug an ihn herantritt, erahnt man seinen Ursprung – es handelt sich um einen Korallenfelsen. Satellitenbilder vom Meer zeigen zudem, dass unweit ein solch grosses Stück Koralle im Meeresboden fehlt. Ein Tsunami muss vor langer Zeit diesen Koloss einmal abgelöst und aufs Land befördert haben. Deshalb schmücken ihn die Einheimischen auch mit dem dem Namen „Tsunami Rock“.

Ein weiteres Highlight, was wir zuvor noch nirgends auf der Welt gesehen haben, sind die Blowholes – also die „blasenden Löcher“. Auf einem 5 Kilometer breiten Küstenabschnitt trifft das Meer direkt auf Vulkangestein und formt seit eh und jeh kleine Tunnel in den Stein. Jedesmal wenn eine grosse Welle auf den Fels trifft, wird das Wasser durch die Löcher gepresst, wobei eine Art Geysir entsteht, der bis zu 30 Meter hoch werden kann. 

Einen kurzen Stop legen wir natürlich auch an der dreiköpfigen Kokosnuss ein. Also ein Baum der sich kurz vor der Krone zweiteilt und dessen einer Ast sich weiter oben noch einmal teilt. Dieses lokale Highlight hat sogar sein eigenes Sehenswürdigkeitshinweisschild am Strassenrand.

Ich kann es mal wieder nicht lassen.

Während unserer Fahrt treffen wir überall auf neugierige, nach Abwechslung und Futter gierende Hunde, in der Sonne dösende Katzen, Hühner, die ihre Küken um sich scharen und Ferkel, die ihren Schweinemamas eilig hinterher hasten. Alle laufen frei herum und die Insel kommt mir ein bisschen vor wie eine grosse Villa Kunterbunt. Nur leider ist das die Idylle, die ich mir für dieses Bild gerne vorstelle. Und die Idylle trügt, wie so oft. Alle dieser Tiere (ja alle) landen hier früher oder später im Kochtopf – die Tongaer lieben Fleischgerichte. Fleisch ist oft, sehr oft, quasi fast immer auf dem Teller. Wenigstens sind sie da konsequent und unterscheiden nicht zwischen Haus – und Nutztieren, so wie wir es in westlichen Ländern gerne tun und den Verzehr von einem Schwein als normal betrachten, einen gekochten Hund aber nie und nimmer herunterschlucken würden.

In Tonga hat man oft Schwein.
Hühner dürfen mit ins Café und behaupten sich als Ökokrümelsauger.

Als letztes wollen wir uns eine natürlichen Landbrücke anschauen. Im Gegensatz zu der Dreiköpfigen Kokosnuss ist dieser besondere Ort jedoch nicht ausgeschildert und wir brauchen mehrere Anläufe, bis wir die Brücke finden. Die Zufahrtsstrasse ist voll mit nach Jauche stinkenden Pfützen und Matsch. Beim Überqueren setzen wir mehrmals auf und müssen nachschauen, ob noch alles am Auto dran ist. Den Dreck an unseren Schuhen nehmen wir ungewollterweise mit ins Auto und stellen so sicher, dass das Fahrzeug nun einheitlich von aussen und von innen wie frisch gedüngt riecht. Michas Sportschuhe versprühen noch heute trotz Waschmachinenreinigung einen Hauch von „Eau de Ferkél“.

Am Abend nimmt uns Mike mit auf ein Feierabendbier mit ein paar Kollegen in seine Lieblingsbar. Wir wissen nicht, wie es mittlerweile auf Hawai ist, aber in Tonga gibt es sehr wohl reichlich Bier. Das lokale Gebräu ist gut, aber die Piña Colada frisch zubereitet mit echter Kokosnuss ist der absolute Traum.

Der Abend ist ein toller Abschluss zu diesem erlebnisreichen Halbtags – Ganztagesausflug. Den Ostteil der Insel wollen wir auch noch erkunden – aber nicht gleich am nächsten Tag, denn das wäre uns zu anstrengend. 

E noho rā – Tschüss auf Māori

Irgendwann ist immer Schluss. Das Touristenvisum für Neuseeland endet nach 90 Tagen. Wir haben es mit unseren 88 Tagen nahezu maximal ausgereizt und in der Zeit natürlich nicht alles, aber vieles vom Land kennengelernt. Einige unserer Erlebnisse, die Treffen mit Menschen und Tieren, die Tage in der Natur, unsere Reiseroutinen und ein paar Gedanken haben wir in diesem Blog für euch (und auch für uns) schriftlich festgehalten und mit ausgewählten Fotos gespickt. Zum Abschluss hier noch ein paar Notizen, die nicht in die bisherigen Artikel reinpassten uns aber trotzdem erwähnenswert erscheinen. 

1. Die stets aufgeschlossenen und freundlichen Menschen. Oft wurden wir gefragt, woher wir denn kommen und ob wir Hilfe benötigen, obwohl wir wahrscheinlich nicht das erste deutsche Pärchen waren, das ihnen an diesem Tag über den Weg gelaufen ist. Das finden wir bemerkenswert, da wir auch selbst auf viele Landsleute in Neuseeland trafen – vor allem junge „Work and Travel“-Reisende. Oft wurden wir von den Kiwis belächelt „Deutschland muss ja ein schlimmes, hässliches Land sein, wenn so viele von euch hierher kommen.“  

2. Die Kultur der Maori ist überall gegenwärtig, wird geschätzt und bewahrt. In Napier durften wir anlässlich einer Festivaleröffnung einem Willkommensritual beiwohnen, ebenso in Wellington. In einer Bibliothek in Rotorua hatten wir zufällig Gelegenheit, eine Haka-Vorführung zu sehen.

Der Haka – ein ritueller Tanz der Maori.

3. An den Linksverkehr gewöhnten wir uns schnell. Es gibt viele Schilder und Zeichen auf der Fahrbahn, die darauf hinweisen und den Touristen daran erinnern, dass man sich links zu halten hat. Die Strassen sind zwar meist einspurig, dafür aber recht breit. Alle paar Kilometer gibt es „Überholspuren“, falls die Schlange der Fahrzeuge hinter einem zu lang wird. Papa Schlumpf war bei maximal 110 km/h am Limit und bereits bei 80 km/h ziemlich laut, also ein eher gemütlicher Gefährte – wir wurden oft überholt.

Das grüne Signal einer Fussgängerampel in Napier. Zu Fuss gegangen wird scheinbar nur, wenn der Hund mit Frauchen Gassi geht.

4. In diesem weitläufigen Land scheint jeder ein eigenes Auto zu haben. Deshalb ist wohl auch der Nahverkehr in den Städten nicht wirklich gut ausgebaut und oft unzuverlässig. Es gibt zwar ein Busnetz, aber die Busse fahren selten. In Tauranga, einer 115.000 Einwohner zählenden Hafenstadt haben wir den letzten Bus um kurz vor 20 Uhr knapp verpasst. Dabei war es wochentags, Hochsommer und immer noch hell. In der Hauptstadt Wellington haben wir zum Teil lange und vergeblich auf Busse gewartet, obwohl sie eigentlich alle 20 Minuten kommen sollten.

5. Vor allem Dorf- und Städtenamen werden nicht selten anders ausgesprochen, als wir es aufgrund unseres Schulenglischs erwartet hätten. Das sorgte ab und zu für ein Lächeln auf der anderen Seite – die Deutschen eben 🙂

Der Takahe, noch so ein seltener Vogel, der das Fliegen verlernt hat.

6. Es scheint ein gemeinsames Ziel aller Organisationen und der Bevölkerung, dass die von europäischen Einwanderern eingeführten Tiere wie Possums, Hermeline und Ratten bis 2050 auszurotten sind, um die heimischen Vogelarten zu schützen. In Naturschutzparks sieht man alle 100 Meter Fallen und Warnhinweise, dass in der Gegend Gift ausgelegt wurde. In dieser Konsequenz haben wir das woanders noch nicht erlebt.

7. Hier gibt es den besten Joghurt, den wir je gegessen haben. Der hat uns so gut geschmeckt, das wir gerne Werbung dafür machen: Raglan Joghurt aus Kokosnussmilch- so much goodness. „Goodness“ (also etwas Gutes, Wertvolles) ist auch so ein Begriff, den wir hier häufig hörten und der auf jedem zweiten Produkt steht. Wir werden ihn wohl bleibend mit Neuseeland verbinden.

TIAKI – das bedeutet, Menschen und Orte zu schützen. 

8. Das „Tiaki“-Versprechen zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Begegnungen im Kiwi-Land. Es scheint wie eine stillschweigende Übereinkunft aller Einheimischen – egal ob Maori, Einwanderer der ersten Generation oder Neuankömmlinge zu sein. Alle eint der Stolz und das Wissen um die Verantwortung für ihr Land, es achtsam und so zu behandeln, das auch die Kinder und deren Kinder diese heutige Vielfalt und Schönheit erleben können. Nie haben wir Aggressivität, Egoismus oder soziale Kälte unter den Einheimischen wahrgenommen. Wir spürten vielmehr gegenseitige Rücksichtnahme, einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn sowie den Respekt gegenüber den Menschen und der Natur. 

TIAKI – das sind keine leeren Worthülsen in Neuseeland  – es ist gelebter Alltag. 

TIAKI – das Versprechen packen wir in unsere Rucksäcke und tragen es in die anderen Orte, die wir noch bereisen wollen. Denn nicht nur Neuseeland, alle Länder, jeder einzelne Mensch, jedes Lebewesen, die gesamte Natur um uns herum ist kostbar. 

Durch den Süden mit Papa Schlumpf

Die Tage der Busreisen, des Trampens und Zeltens waren Anfang März schlagartig vorbei. Denn von da an begleitete uns Papa Schlumpf. Es hätte auch Clark Kent, Cinderella oder Mary Poppins sein können. Aber uns wurde eben „Papa Smurf“ zugeteilt. 

Papa Schlumpf war unser Camper – das Autovermietungsunternehmen gab jedem Fahrzeug einen individuellen Namen und dieser war auf der Fahrertür sichtbar. Wir haben auf der Reise viele andere Autos des selben Vermieters gesehen, aber niemand hatte einen so drolligen, sympathischen und oft ein Lächeln erzeugenden Gefährten wie wir. Ausserdem fand ich, das der Name sehr gut zu Micha passte. 🙂

Papa Schlumpf war wie viele Camper in Neuseeland ein Toyota Estima. Dieses Modell, hergestellt in den 90er Jahren kannten wir aus Europa nicht. Er war im Prinzip einmal ein Familienauto, ein Minivan mit drei Sitzreihen und wurde umgebaut in einen Campervan. Ihn als Wohnmobil zu bezeichnen wäre übertrieben, Papa Schlumpf war nüchtern betrachtet nur ein Auto  – und doch war er noch so viel mehr. Er brachte uns nicht nur wohlbehalten über die Südinsel Neuseelands, er war unser Schlafzimmer, unser Kleiderschrank, das Wohnzimmer, die Küche und die Vorratskammer – all dies auf vielleicht sieben Quadratmetern. Und er war mit 336 000 km in den Strümpfen zurecht ein Senior.

Abgeholt haben wir ihn am Flughafen von Christchurch. Wir freuten uns über den plötzlichen Komfort, der mit ihm kam – es gab für vier Personen Teller, Schälchen, Besteck und Gläser, einen Topf, eine Pfanne und zwei Campingkocher, zwei Klappstühle und einen Tisch. Des weiteren gehörten Bettzeug bestehend aus einem Laken, einer Decke und zwei richtigen Kopfkissen dazu. Wie werden wir ab nun dinieren und schlafen! Ein weiterer Luxus eines Autos besteht natürlich darin, dass wir nicht mehr gehen und unser Gepäck tragen müssen…. und die Einkäufe auch nicht. 

Einen solch langen Kassenzettel hatten wir in Neuseeland noch nie.

Unser Kaufrausch des ersten Supermarktbesuchs wurde nur durch die Einschränkung der drohenden Verderblichkeit der Lebensmittel gezügelt. Einen Minikühlschrank hatte Papa Schlumpf im Gegensatz zu den echten Wohnmobilen leider nicht.

Mit Papa Schlumpf erkundeten wir in 6 Wochen die Südinsel Neuseelands. Er brachte uns an Orte, die wir ohne ihn wahrscheinlich nicht gesehen hätten. 

Einer der ersten tollen kleinen Campingplätze war der am „Lake McGregor“.  Den kleinen Nachbarsee des weitaus grösseren „Lake Tekapo“ konnten wir leicht in ein paar Stunden zu Fuss umrunden. Die Sonne lies das trockene Gras in einem unglaublich schönen Goldton erstrahlen.

Keine 70 Kilometer Luftlinie entfernt sah die Landschaft schon ganz anders aus – am Fusse des Mount Cook (dem mit 3.724 Höhenmetern grössten Berg Neuseelands) gab es einige Gletscherseen zu entdecken. Trotz mehreren Schichten an Kleidungsstücken fühlten wir uns neben den Eisbrocken, die im Wasser herum schwammen, wie zwei Zitronenscheiben in einem von Eis gekühlten Longdrink. Nahmen wir uns sonst immer viel Zeit für unsere Wanderungen, für die Strecke zurück an den Parkplatz brauchten wir nicht lange – Papa Schlumpf lockte mit seiner warmen Luft aus der Klimaanlage. 

In Neuseeland kann man die unterschiedlichsten Landschaften auf recht engem Raum bewundern. Nach der Hochebene mit seinen vielen verträumt grasenden Schafen und dem Abstecher in die Gletscherregion schlumpften wir uns auf den Weg an die Westküste an einen der berühmtesten Fjorde Neuseelands  – dem „Milford Sound“. Allein schon die Fahrt dahin war beeindruckend. Genau wie alle anderen Touristen, hielten auch wir mehrmals für Fotostops an – so schön war die Strecke. 

Die Gegend gefiel uns so gut, dass wir mehrere Tage hier blieben und noch einige Wanderungen unternahmen.

Wir genossen die Freiheit und die Flexibilität, die uns unser fahrendes Zuhause schenkte – wir mussten früh morgens noch nicht wissen, wo wir abends schlafen werden, denn offizielle Stellplätze für Camper gab es genügend. Im Vergleich zu der Zeit ohne Auto war das ein weiterer kleiner Luxus. Wir kamen recht schnell zu den Campingplätzen und, was manchmal umso wichtiger war, auch schnell wieder weg.

Zwei mal sind wir früh morgens regelrecht geflüchtet – und Schuld daran waren ausschliesslich die Sandflies – das sind kleine äusserst bluthungrige Biester, die einem den schönsten Campingplatz verderben können. Sandfliegen gibt es an vielen Orten in Neuseeland – gebissen wurden wir unterwegs schon oft. Aber es gibt Gegenden, da kommen sie in Scharen vor und da sind sie besonders skrupellos mit ihrer Beute.

Kleiner Exkurs: Der Legende nach hat der Gott Tu-te-raki-whanoa die Fjordlandschaft so atemberaubend schön geschaffen, dass sie die Menschen davon abhielt, zu arbeiten und sie nur voller Ehrfurcht staunten. Die Göttin Hinenuitepo wurde deswegen so wütend auf diese unproduktiven Menschen, dass sie die Sandfliegen kreierte, um sie zu beissen und sie so wieder in Bewegung zu setzen.

Eine dieser Gegenden im Fiordland National Park ist das Hollyford-Tal. Die Tür nur kurz aufgemacht und schwupp sind mindestens 20 der fiesen „Fliegen“ im Auto. Und es blieb ja nicht bei denen, die schon drin waren. Da wir noch mitten im neuseeländischen Sommer waren, mussten wir zum Schlafen unbedingt die Fenster ein bisschen auflassen, sonst hätten wir uns bald wie in einem Gewächshaus gefühlt. Ich dachte immer, Insekten werden von Licht angelockt, aber Mücken und Sandfliegen müssen wohl einen sehr guten Geruchssinn haben. Wir konnten sie beobachten, wie Sie den kleinen Spalt im Fenster finden und hineinschwirrten. Ans Schlafen war nicht zu denken.

Wir legten also eine gute Schicht Mückenspray auf und versuchten es dann nochmals mit der Nachtruhe. Erfolglos. Zum einen bereitete uns unser neues „Parfüm“ Übelkeit und zum anderen ist es zwar nett, wenn die Mücken sich nicht auf deiner Haut zum Essen niederlassen, aber es ist umso nerviger, wenn sie nun verzweifelt versuchen, eine jungfräuliche Stelle auf deiner Haut zu finden und unentwegt an deinen Ohren vorbei summen. Also wurden nun die Ohrstöpsel rausgekramt. Micha bevorzugte die Version des halben Kopfkissens über dem Ohr. Irgendwann mitten in der Nacht müssen wir dann so eingeschlafen sein. Dies waren die kürzesten Nächte überhaupt in Neuseeland. Am nächsten Morgen, sobald es ein bisschen hell war, krabbelten wir von unserem Nachtlager im Hinterbereich nach vorne auf die Sitze. Ja, auch das geht, wenn man will. Aber es sieht schon lustig aus, wenn sich ein über 1,90m grosser Mann zwischen die zwei Vordersitze nach vorne quetscht. Noch im Schlafanzug und ohne die Tür einmal aufgemacht zu haben fuhren wir los. Wir wurden das Abendessen für viele der Biester, zum frühstücken sollen sie sich doch jemanden anderen suchen. 

Im Auto unterwegs verging der März wie im Flug. Wir fanden auch mit Papa Schlumpf schnell unseren Rhythmus. Trotz der vielen unterschiedlichen Eindrücke, die tagsüber auf uns warteten, bekamen wir eine gewisse Reiseroutine. Wir wachten auf, sobald es hell wurde. Die Natur belohnte dieses frühe Munterwerden oft mit fabelhaften Sonnenaufgängen, die wir zum Teil auch direkt aus dem Auto heraus betrachten konnten.

Das morgendliche Herauskrabbeln aus dem Auto kann man auch als eine Vorstufe zu einer Yogaübung bezeichnen – denn es ist nicht immer einfach, ohne Bandscheibenschaden da raus zu kommen. Können wir zu Hause mit dem Bettenmachen warten, bis wir richtig wach sind, oder notfalls komplett darauf verzichten, so erlaubte uns Papa Schlumpf dies nicht. Bevor es irgendwie weiter ging, mussten wir das „Bett“ machen, denn schliesslich bestand die Matratze aus drei Einzelteilen, die je auf zwei Truhen und einem zusätzlichen Verlängerungsbrett aufgelegt wurden. In den zwei Truhen waren zum einen unsere Klamotten und zum anderen unser Essen sowie das Kochgeschirr. Solange wir also das „Schlafzimmer“ nutzten, hatten wir keinen Zugang zum „Kleiderschrank“ oder zur „Küche“. Sobald alles verstaut wurde, konnten wir in den Tag starten. Das Ritual des genüsslichen Frühstücks behielten wir auch mit Papa Schlumpf bei. Manchmal gesellte sich sogar das ein oder andere willkommene Tier zu uns. 

Während der Sonnenstunden unternahmen wir meist kleinere Wanderungen und besichtigten die natürlichen oder vom Menschen geschaffenen Sehenswürdigkeiten der einzelnen Regionen.

Bevor es dunkel wurde hatten wir meist unseren Stellplatz für die Nacht gefunden. Das Morgenritual wurde umgedreht und zum Abendritual. Das heisst dementsprechend erstmal in aller Ruhe das Essen machen und dieses ausgiebig geniessen. Wir hatten wirklich grosses Glück mit dem Wetter. Während unserer Reise war es meistens sonnig, es hat kaum geregnet und so konnten wir uns auch Abends draussen aufhalten.

So schön, wie der Tag begann, so ging er auch oft zu Ende – mit farbintensiven Sonnenuntergängen. 

Satt und zufrieden wären wir nun gerne ins Bett gefallen, aber zunächst mussten wir die Inneneinrichtung von Papa Schlumpf wieder umbauen – Kiste aufmachen, Bettzeug rausnehmen, dieses ausschütteln, Matratze aufbauen und beziehen. Jeden Abend die gleiche Prozedur. Unzählige Male haben wir uns dabei den Kopf gestossen. Da wurde uns bewusst, wie komfortabel so ein richtiges Schlafzimmer mit einem Bett als festen Bestandteil ist. 

Diesen logistischen Aufwand nahmen wir gern in Kauf, da wir so sehr nah an und in der Natur sein konnten. Aus dem Dachfenster von Papa Schlumpf konnten wir einige Male einen fantastischen Sternenhimmel mit unendlich vielen leuchtenden Stecknadelköpfen beobachten.

Nach fünf Wochen und rund 3.800 gefahrenen Kilometern mussten wir Anfang April unseren liebgewonnenen Gefährten wieder abgeben. Unsere Drei-Monats-Reise durch Neuseeland lag nun hinter uns und wir waren sehr froh, das Land auf so eine abwechslungsreiche Art des Reisens erlebt zu haben. Weder hätten wir die ganze Zeit im Auto, noch ausschliesslich mit Rucksack und im Zelt bzw. in Jugendherbergen / privaten Unterkünften verbringen wollen. Es war für uns genau die richtige Mischung. 

Zelten ist nichts für mich…

…war nach meiner Pubertät bis vor etwa zwei, drei Jahren ganz klar meine Meinung. Dieser Verzicht auf Bequemlichkeit und das auch noch am Wochenende oder noch schlimmer: im Urlaub (!), das widersprach zu sehr meiner Vorstellung von Erholung. In meiner Freizeit wollte ich mir schliesslich etwas gönnen, es mir richtig gut gehen lassen. Neugierig auf andere Länder, exotische Natur, unbekanntes Terrain und interessante Menschen war ich zwar schon immer. Aber bitteschön nicht mit allzu starker körperlicher Beanspruchung, dafür mit einem bequemen Bett, köstliche Verpflegung und gut organisiert, damit auch in der immer knapp bemessenen Zeit nichts schief gehen konnte.

Früher trug ich mein Gepäck vom Kofferraum des Autos zum Check-In-Schalter der Airline. Hier habe ich alles bei mir. 

Doch nach vielen kurzen und langen Reisen an nahe oder manchmal auch weit entfernte Orte hatte ich oft das Gefühl wie ein Zoobesucher durch fremde Länder und Kulturen unterwegs zu sein. Auch im Zoo wird uns nur gezeigt, was wir sehen sollen. Alles war arrangiert und im Wesentlichen bereits vorher klar. Der Raum für das Unerwartete beschränkte sich auf meine Auswahl der Mahlzeiten, die eventuellen Verschiebungen der Flugzeiten oder eine Veränderung im Ablaufplan bei vorher gebuchten Ausflügen. Ich war sehr bequem geworden und passiver Konsument, nicht Gestalter meiner Exkursionen.

Die Planung beim Camping erfolgt beim Frühstück und nicht Monate im Voraus auf dem heimischen Sofa. Der aufmerksame Betrachter erkennt auch die dekorative Serviettenrolle.

Das wollte ich ändern. Vor vier Jahren ging ich das erste Mal allein im Harz für ein paar Tage wandern. Auch wenn es weder exotisch noch körperlich anstrengend war, hatte ich danach doch das Gefühl, das es mir gut, ja sogar besser als nach zwei Wochen Pauschalurlaub am Meer ging. Der Hauch von einer kleinen Freiheit gab mir Kraft und bestärkte mich. Ich habe Ziel, Tempo und Inhalte der Reise selbst bestimmt, ohne alles vorher detailliert geplant zu haben. In den folgenden Jahren habe ich das mit meinem Sohn und zwei Freunden in ähnlicher Art wiederholt.

Als Jana und ich beschlossen, gemeinsam unseren Traum von einer Reise auf die andere Seite der Welt zu verwirklichen, haben wir im Sommer 2018 mit unseren Familien und Freunden darüber gesprochen, die Jobs und Wohnungen gekündigt sowie mit der ganz groben Vorplanung begonnen. Wir buchten die ersten Flüge. Wo wir uns im Land konkret bewegen, was wir uns anschauen und erleben wollen – all dies liessen wir offen. 

Es sollte für unsere Köpfe und Schultern eine Reise „mit leichtem Gepäck“ werden und das aus drei Gründen: 

  1. Wir wollen Raum haben für die Begegnungen mit Menschen, die uns nicht vordergründig als Tourist, vielleicht eher als interessierte und freundliche Fremde wahrnehmen. 
  2. Wir tragen alles was wir brauchen selbst. Das hat den Vorteil, dass wir auch nur das verlieren können. Und verloren gegangen ist schon einiges. (Wer irgendwo in Neuseeland eine schwarze Wetterjacke Grösse L findet, der soll mir bitte schreiben. Es könnte meine sein.) 
  3. Wir möchten mit einem guten, jedoch begrenztem Budget wertvolle Erfahrungen sammeln und dem Unvorhersehbaren eine Chance geben. 

Selbst leichtes Gepäck wird nach einer Tageswanderung schwer. Hier Fotos vom gleichen Tag, einmal früh und einmal am Abend.

So haben wir dann Zelte und Rucksäcke sowie sonstiges Equipment angeschafft. Da es ursprünglich eine Fahrradreise werden sollte, wurden langstreckentaugliche, robuste Fahrräder erworben. Da ich dann doch nicht allzu blauäugig ans andere Ende der Welt reisen wollte, habe ich bei meinem Fahrradhändler um die Ecke an zwei halben Tagen gelernt, wie ich das gute Stück einmal auseinander- und wieder zusammenbaue, Schläuche stopfe und sonstige einfache Reparaturen selbst durchführe.

Danach besuchte ich einen GPS-Navigationskurs speziell für Fahrradtouren, sowie einen Survival-Kurs in der Lüneburger Heide inklusive Übernachtung bei Bodenfrost auf einer Unterlage aus Blättern. Das Frühstück war im Preis mit inbegriffen: am Morgen gab es Frischwasser aus Waldmoos. Wenn das mal kein Gegensatz zum 5-Sterne-Hotel ist. 

Tatsächlich haben wir bislang unser Zelt gut genutzt. Der wesentliche Unterschied zwischen Camping und dem gewohnten Zuhause ist der (wie überraschend) auf das Existenzialistische reduzierte Bedarf an Verpflegung, Klamotten und Komfort. Ich habe vermutet, dass sich durch die Vereinfachung des Alltags auch eine Leichtigkeit und Beschleunigung der organisatorischen Abläufe einstellt. Doch das Gegenteil ist der Fall. 

Es kann lang dauern vom ersten zaghaften Augenblinzeln am Morgen bis zum Moment, in dem wir startbereit alles im Rucksack verstaut haben. Die Zeiteinteilung passt sich den täglichen Verrichtungen an und nicht umgedreht, so wie ich es aus meiner täglichen Arbeit gewohnt war: „Die Deadline für den Deal ist heute Abend um 18 Uhr.“ Hier nehmen wir uns die Zeit, alles in Ruhe zu erledigen. Aufstehen, erste Morgentoilette, Anziehen, Schlafsäcke und Luftmatratzen einpacken, Zeltabbauen und zum Trocknen an ein sonniges Plätzchen hängen. Nach den langen, aber nicht unbedingt erholsamen Flachschlaf-Nächten geniessen wir unser Frühstück in der ersten Runde mit Obst, Müsli und Tee sowie im zweiten Gang mit einem Keks (Jana berichtigt diesen Satz und hält fest: es wurden meist mehrere Kekse pro Person :-)) oder Toast mit Erdnussbutter zum Kaffee. 

Da der Gaskocher das Wasser in Abhängigkeit von den Windverhältnissen oder dem Füllstand der Gaspatrone entweder in fünf oder aber auch in zwanzig Minuten auf die nötige Temperatur erhitzt, kann hier Geduld gefragt sein. Wir haben nicht viel im Gepäck, aber Zeit und somit Geduld haben wir genug.

Dann wurde das Innen- und Aussenzelt nach vollständiger Trocknung erneut ausgeschüttelt und zusammen mit den Heringen im Rucksack verstaut. Das gleiche Prozedere wiederholte sich am Abend (nur umgekehrt), wenn an einem anderen Ort das Zelt aufgeschlagen wurde. Diese logistischen Herausforderungen haben wir gemeistert, wurden immer versierter bis jeder Handgriff sass, da sowohl Jana als auch ich beim Auf- und Abbau immer die gleichen Arbeiten verrichten. Wir fühlen uns wie ein gut eingespieltes Formel-1-Team beim Boxenstopp. 🙂 Am Ende hat sich alles auf wenige Minuten reduziert.

Da wir uns meistens alle ein bis zwei Tage woanders befinden, nehmen das Lesen des Wetterberichtes sowie die Übernachtungs- und Routenrecherche viel Zeit in Anspruch. Unsere Tage sind intensiv, lang und auch durch eine gewisse Reiseroutine geprägt, jedoch nicht vergleichbar mit dem Hochfahren des Rechners, E-Mails checken oder Projektmeetings während unseres Büroalltags. Nahezu jeder Tag bringt neue Bilder, Eindrücke oder Erlebnisse. Unsere Arbeitsspeicher sind mit dem Organisieren des Reisens, der Vielzahl von Entscheidungen und mit dem Verarbeiten des Erlebten gut ausgelastet. 

Ich lerne viele Menschen kennen, manche Begegnungen wirken nach, andere sind schnell vergessen. Alles geschieht im Jetzt. Ich bin ganz bei mir. So habe ich es mir gewünscht. Ich habe keine Ahnung, was diese Reise am Ende mit mir gemacht haben wird. Doch eins weiss ich jetzt schon genau: Zelten ist doch etwas für mich.

Plumpsklo mit Meerblick. Welches Hotel kann das schon bieten?

Wir machen Blau

„Das Meer, dessen sanfte, furchtgebietende Wogen von einer darunter liegenden Seele künden, birgt ein Geheimnis – aber welches?“ (Hermann Melville, US-Amerikanischer Erzähler und Autor einer der bekanntesten Romane, in dem ein Wal im Mittelpunkt steht: Moby Dick)

Das Neuseeland im Wesentlichen aus zwei grossen Inseln besteht, ist ja bekannt, wenn nicht, erwähne ich es hier nochmal. Dieser Umstand, die Grösse und die Nord-Süd-Ausdehnung bringen es mit sich, das Wasser, in diesem Fall sehr viel Wasser (auf der Westseite die Tasmansee und auf der Ostseite der Pazifik) für zahlreiche Besucher an und vor den Küsten sorgt. Hin und wieder durften wir dankbare Augenzeugen dieser Audienzen sein, denn so leicht lassen sich die Meeresbewohner gar nicht entdecken.

Diese Karte der Südinsel zeigt die Orte, wo wir die tierischen Besucher beobachten durften.

Jana und ich warten in dem uns zugewiesenen Raum mit Fotos und Warnhinweisen an den Wänden. Der laufende Film gibt Hinweise zu Vorkommen, Lebensweise, Fress- und Paarungsverhalten, sowie zum Schutz derjenigen Meeresbewohner, von denen wir vielleicht den einen oder anderen heute zu sehen bekommen. Wir befinden uns im Hafen von Kaikoura und warten auf das Ablegen unseres Walbeobachtungsbootes.

Die Stadt an der Westküste der Südinsel hat sich in den letzten Jahren zu einem wahren Treffpunkt für Whale-Whatching entwickelt. Kurz vor der Küste senkt sich der Meeresboden unvermittelt auf 1,5 km Tiefe – und wegen des enormen Futterangebotes halten sich dort ganzjährig viele Wale auf.

Wir betreten das Schiff und der freundliche Einweiser gestikuliert und redet unentwegt, wird nicht müde, darauf hinzuweisen, welche Verhaltensregeln bei eventuell aufkommender Übelkeit, also „Seekrankheit“ zu befolgen sind. In den Taschen vor jedem Sitz befinden sich entsprechende Tüten, die Klimaanlage ist auf das gerade noch vertretbare Minimum eingestellt. Es heisst, der Mensch verspürt weniger Übelkeit, wenn er friert. Die Wetterschwankungen sowie unsere Campingerfahrungen haben uns gelehrt, „Zwiebel-Look“ zu tragen (also mehrere Schichten aus T-Shirt, Sweatshirt, Weste oder Funktionsjacke und als letzte Waffe die Wetter- bzw. Thermojacke). Wir sind also gut vorbereitet.

Hui, festhalten ist angesagt.

Dann geht es los. Das speziell für Beobachtungszwecke gebaute Schiff bewegt sich mit hohem Tempo etwa eine halbe Stunde hinaus auf das offene Meer. Der Wellengang ist stark, aber zumindest für uns noch erträglich. Jana und ich schauen uns an und ahnen, welche Taktik hinter der zwar unterhaltsamen, doch auch langsam etwas nervigen Ansprache des Guides stecken könnte. Will er magenempfindliche Fahrgäste vielleicht damit einfach ablenken?

Dann verlangsamt sich die Geschwindigkeit. Wir dürfen das Schiffsinnere verlassen und das Deck betreten. Von oben nehmen wir Helikoptergeräusche wahr. Diejenigen mit etwas mehr Budget suchen nach den raren Riesen bequem aus der Luft. Haben Sie schon etwas gesehen? Sind wir unserem Ziel nah? Dann bittet uns der Guide, die Wasseroberfläche zu beobachten, darauf zu achten, ob wir regelmässig kleinere Wasserfontänen sehen und ihm oder dem Kapitän einen Hinweis zu geben. Angestrengt schauen wir auf das Wasser. Die Augen gewöhnen sich an das Auf und Ab sowie die schäumenden Wellenbewegungen.

Horch und Guck in Neuseeland. Ein kleiner Eingriff in die Privatsphäre des Wales.

Der Kapitän greift zu einer Stange, an deren unterem Ende ein Ortungsgerät befestigt ist. Nach einigen Minuten schaut er zufrieden auf die Messdaten und lenkt das Schiff einen kleinen Abschnitt weiter. Nun wissen wir auch, dass der Helikopter einfach nur dem Boot folgt – die dort oben haben vielleicht eine weitere Sicht, können aber die Laute der Wale nicht abfangen. 

Unsere Anspannung steigt. Werden wir heute tatsächlich zum ersten Mal in unserem Leben einen Wal in seinem natürlichen Lebensraum sehen?

Dann ist es soweit. Der Guide scheint trotz aller Erfahrung und Routine selbst emotional dabei zu sein, sagt an, wohin sich unsere Augen richten sollen. Da ist er, der regelmässig wiederkehrende Wasserspringbrunnen, der aus dem Ozean tanzt. Erst ahnen wir, nach ein paar Sekunden sehen wir den riesigen grau glänzenden Rücken eines Pottwales. Ein Vertreter dieser Art und die Jagd nach ihm beschreibt Hermann Melville in seinem vor rund 170 Jahren veröffentlichten Roman.  Leider stellt der Romanverlauf mit dem am Ende überlebenden „Moby Dick“ im wahren Leben eher die Ausnahme als die Regel dar.

Der Rücken des Pottwales.

Wir staunen, fotografieren, versuchen mit allen Sinnen diesen Moment aufzunehmen und abzuspeichern. Diese Phase dauert nur wenige Minuten, bis der (wie wir hinterher vom Guide erfahren) etwa 16 bis 18 Meter lange Riese genug Luft geholt und verdaut hat, um danach wieder kilometertief abzutauchen. Doch genau dieser Augenblick des Eintauchens ist für mich atemberaubend schön. Kurz nach dem der Wal Schwung zu holen scheint, wölbt sich seinen Rücken nach oben, um dann ganz langsam wie in einer Zeitlupe zum Abschluss seine riesige Schwanzflosse zu zeigen. Diese gleitet geschmeidig in das tiefe Nass und Sekunden später sieht es auf der Wasseroberfläche aus, als wäre nichts gewesen.

Wir haben das grosse Glück, dieses Schauspiel kurz darauf noch einmal bei einem weiteren Wal miterleben zu dürfen. Anders als bei anderen Tierbeobachtungen empfinde ich hier eine besondere Art der Demut und Dankbarkeit. Trotz der Entfernung wirken die Wale sehr souverän, geradezu erhaben und trotz ihrer Grösse und Wucht überhaupt nicht bedrohlich, sondern eher freundlich auf mich. 

Das zufriedene Lächeln auf unseren Gesichtern wird noch grösser als wir auf dem Rückweg in einen Schwarm von bis zu 20 Schwarzdelphinen (Dusky Dolfines) geraten. Sie schwimmen sehr nah um das Boot, springen, verschwinden, kommen in kleineren Gruppen wieder. So geht es einige Male hin und her. Noch nie haben haben Jana und ich so viele dieser neugierigen und scheinbar spassigen Tiere gesehen. Langsam entfernen wir uns wieder von ihnen. 

Bevor wir Kaikoura wieder verlassen, besuchen wir am nächsten Tag die nur an wenigen Strandabschnitten zu findenden Pelzrobben. Sie geniessen die Sonne, legen sich von links nach rechts und halten ab und an ihre Nasen in den Wind. Besonderes Vergnügen bereitet mir eine Robbe, die im flachen Wasser im Küstenbereich auf dem Rücken liegend zeigt, wie gross doch die Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier sein können.

Im Vordergrund ist kein Stein, sondern unsere Geniesserrobbe. Links ist die Schnauze und alle vier Flossen liegen auf dem Bauch. So lässt sie sich treiben und scheint völlig bei sich zu sein.

Wie sie so entspannt im Wasser liegt, stelle ich mir einen Pauschaltouristen in einem aufblasbaren Schwimmsessel mit Cocktailhalter rechts und Handyablage links im Pool vor. Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ein herrliches Bild voller Wohlbefinden und einfacher Glückseligkeit.

Ein paar Wochen später hat sich dieser Eindruck in den Catlins im Südwesten der Südinsel verfestigt. Nach einem längeren Strandspaziergang konnten wir dort die Verwandten der Pelzrobben, die Seelöwen beobachten.

Auch sie verstanden es, ihren Landgang ausgiebig zu geniessen, obwohl es kühl und sehr windig war. Aber da hilft eben ein Wärmepolster. Meines half mir auch. Auch wenn es, zugegebenermassen, nicht so putzig anzusehen ist, wie das der bärtigen Riesen mit den kurzen Flossen. Wir hatten den Eindruck, das sich einer der beobachteten Prachtkerle für seine Gäste ganz besonders ins Zeug legte: einmal umgedreht, dann linke Flosse hoch, rechte Flosse hoch, hingesetzt, Profil einmal von links, Profil einmal von rechts gezeigt und dann…. ging es über den Laufsteg, äh den Strand. Nur um dann erstmal wieder zu pausieren und nachzuschauen, ob die Kameras auch noch alle auf ihn gerichtet sind. Ich werde das Gefühl nicht los, das Tiere oft viel menschlicher sind, als wir es uns eingestehen wollen. Dieses Bild erinnert mich an meine Jugend, als sich im Strandbad Berlin-Grünau ähnliche Szenen mit menschlichen Prachtexemplaren abspielten. 

Als letztes bleibt mir eine kurze, aber um so eindrücklichere Begegnung mit einem Zwergpinguin während des Abel-Tasman-Tracks, einer Wanderung zu Wasser und an der Küste im Norden der Südinsel, in Erinnerung. Jana und ich waren am zweiten Tag mit einen Kayak an der Küste unterwegs und kurz davor, den an diesem Tag geplanten und nur vom Meer erreichbaren Campingplatz in der Mosquito Bay zu erreichen.

Der wohl beste Zeltplatz auf unserer Reise in Neuseeland – Mosquito Bay.
Unsere Kamera war nicht schnell genug zur Hand. Deshalb ist dies kein Foto von uns vom Zwerg.

Plötzlich tauchte ein Zwergpinguin (in Neuseeland heissen diese „Blue Pinguins“) links vom Kajak auf. Aus dem Augenwinkel dachte ich zunächst an einen Wasservogel, von denen es viele gab. Auf den zweiten Blick erkannten wir den besonderen Besucher und hatten einige Momente, in den wir die Paddel ins Boot und unseren Fokus auf den mit 35 bis 40 cm kleinsten Pinguin der Welt legten. Er schien es zunächst nicht eilig zu haben, so dass wir ein paar stille Augenblicke mit ihm gemeinsam hatten, bis er schliesslich abtauchte und nicht mehr zu sehen war.

Ich glaube nicht, das das Meer nur ein Geheimnis, sondern mehrere birgt. Es ist wie die Seele eines Menschen, manchmal klar bis auf den Grund, dann wieder spiegelt sie im nächsten Moment nur ihr Gegenüber, wie das Wasser den Himmel. Sie kann eintrüben, wenn Sturm aufkommt oder in der Tiefe der Boden aufwühlt. Wie die Seele so ist auch das Meer empfindlich.