Zwei Berliner auf Bali

Lange hatte ich mich schon darauf gefreut, Maximilian wieder zu sehen. Mein Flieger aus Jakarta landet pünktlich auf Bali. Nur ein paar Schritte vom Inlands- zum Auslandsterminal, eine Tasse Kaffee und ich würde ihn in die Arme nehmen können. Dieser grosse Kerl, erst siebzehn aber doch schon so reif und erwachsen wirkend wie ein Marinekadett mit Schulterklappen. Ungewohnt für mich, zu jemanden aufzuschauen zu müssen. Aber bei ihm macht es mir nichts aus – im Gegenteil: ich freue mich, dass er meine Einladung, uns für etwa zehn Tage auf unserer Reise zu begleiten, angenommen hat. Manchmal wünsche ich mir, er wäre nicht so teenagermässig cool und würde mit mir mehr über seine Wünsche, Hoffnungen und Gefühle sprechen. Dann halte ich kurz inne und erinnere mich: ich war genauso….wahrscheinlich sogar noch abgeklärter nach aussen wirkend. Doch wünsche ich mir oft seine Nähe. Wenn er mir dann gegenüber sitzt, bin ich überrascht, wie schwer es mir fällt, an den Maximilian hinter der Coolness heran zu kommen. Ich erinnere mich an das, was er mir von sich erzählt, seine Freunde, Lehrer, die Musik, die er mag oder das letzte Buch, das er las. Was denkt er? Worüber freut er sich? Ist er manchmal traurig und wenn ja, warum? Kann ich ihn irgendwie unterstützen? Wir haben uns vor der grossen Reise alle paar Monate, vielleicht sieben bis achtmal im Jahr gesehen. Sein Lebensmittelpunkt ist am Stadtrand von Berlin. Das ist nicht weit von Hamburg, jedoch weit genug, um spontane Treffen am Nachmittag oder Abend auszuschliessen. Ihn zu sehen, ist immer ein Highlight für mich, auch wenn wir nur zusammensitzen und Kaffee trinken oder das von ihm geliebte Sushi gemeinsam verspeisen. Heute kann ich meine eigene Mutter besser verstehen, wenn sie sich wünscht, das wir uns öfter sehen. Ihr scheint es mit mir ähnlich zu gehen, wie mir mit meinem Sohn.

Auf der Anzeigetafel im International Airport Denpasar wird angezeigt, das Maximilians Flieger zweieinhalb Stunden Verspätung hat und damit erst kurz vor zwei Uhr morgens landen wird. Zum Glück gibt es Kaffee. Am Ende wird es drei Uhr morgens bis ich in der Ankunftshalle meine Arme nach oben strecken und ihn an mich drücken kann. Jetzt möchte ich schnell mit dem vorbestellten Taxi zur Unterkunft. Max möchte jedoch erst einmal einen Kaffee – der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – grösstes Verständnis meinerseits. Es liegt noch etwa eine Stunde Fahrtzeit bis ins Bamboo Paradise in Padang Bai vor uns. Das Gästehaus ist informiert, alles geht gut und wir fallen kurz nach vier Uhr morgens erschöpft ins Bett.

Ich geniesse die Zeit mit Maximilian. Wir schauen uns die nahegelegenen Tempel an, gönnen uns eine Massage, unternehmen Schnorchel-Ausflüge in die benachbarten Buchten und geniessen die wunderbare kulinarische Mischung aus asiatischer und westlicher Küche.

Das habe ich seit Singapur wirklich vermisst: frische Salate, eine grosse Obstauswahl, vegetarische Gerichte, die nicht nur aus frittiertem Gemüsereis oder – nudeln bestehen. Dazu gibt es jede Menge hippe Cafés und Bars, die zu mehr Pausen verleiten als eigentlich nötig wären. 

Auf einem Tagesausflug lernen wir einen Schweizer Studenten kennen, der sich mit uns das Taxi teilt, welches uns zu verschiedenen Sehenswürdigkeiten im Osten von Bali führt.

Wir besuchen dabei auch die bekannte hinduistische Pura-Lempuyang-Luhur-Tempelanlage. Diese umfasst mehrere grosse und kleine Tempel auf dem Berg Lempuyang auf einer Höhe zwischen 600 und 1000 Meter über dem Meeresspiegel. Besonders berühmt geworden ist dieser Ort durch den Blick durch das sogenannte Himmelstor auf den Vulkan Mount Agung. Eine Schlange von Touristen aus aller Welt zeigt an, das hier etwas ganz ausserordentliches passieren muss. Sie warten geduldig bis zu zwei Stunden, um dann in wenigen Sekunden vor dem Himmelstor mehr oder weniger alberne Posen wie ausgebreitete Arme, gegenseitige Umarmungen, den Yogabaum, den Yogasitz, den Denker sowie Gruppenbilder mit Daumen hoch oder Händen zu Herzen geformt einzunehmen. Und sie hüpfen – alle hüpfen sie. 

Wir verzichten auf die zwei stündige Wartezeit – ein Selfie tut´s auch.

Das eigentlich Auffällige ist jedoch, das die Fotos einen in der Realität nicht vorhandenen See vortäuschen, der das Motiv spiegelt. Dieser Effekt wird dadurch hervorgerufen, das während des Fotografierens ein Spiegel unter die Fotolinse gehalten wird. Dafür drücken die Besucher einem Mann einen Geldschein in die Hand, geben ihm ihr Telefon und dieser macht dann hintereinanderweg mehrere Aufnahmen. Er schreit und peitscht verbal zu Posinghochleistungen: Mach˙ne Pose, noch ne Pose und jetzt spriiiiiiing. Alle halten sich folgsam an die gebellten Befehle.

Auf Instagram sollen tausende Fotos davon zu finden sein, die dann eben gefälscht sind. Tatsächlich existiert hier ein eher schlichter grauer Steinfussboden. Imposant ist die Tempelanlage trotzdem. Bei meinem zweiten Besuch dort etwa zehn Tage später mit Jana waren wir auf dem oberen Teil der Tempelanlage. Es braucht etwa ein halbe Stunde zu Fuss bergauf. Der Lohn ist fast absolute Stille und nur wenige, überwiegend einheimische Besucher. Dafür wird man mit einem wunderbaren Ausblick in die Ferne belohnt.

Eingesammelter Müll nach unserem Schnorchelausflug. Was hat die Verpackung von Katzenstreu im Meer verloren?

Wer sich jedoch in die Nähe umschaut, sieht, wie leider sehr oft in Südostasien, sofort jede Menge Verpackungsmüll herumliegen. Hier ist es ganz besonders offensichtlich. Die bunten Plastikfolien der Kekse, die Dosen der Erfrischungsgetränke, die Wasserflaschen – was die kleinen Läden an der Strasse verkaufen, wird, sobald der Inhalt im Magen der Kunden verschwunden ist, einfach den Hang heruntergeworfen. Die lokalen Behörden und die Bevölkerung werden nicht Herr über ihren eigenen Müll. Ist es da vertretbar, dass Länder wie Deutschland ihren Abfall nach Indonesien exportieren?  

Die kleine Stadt Ubud ist der frühere Prenzlauer Berg von Bali. Tempel, Galerien, Kunsthandwerk, Cafés, Restaurants und eine üppige Anzahl von Hotels, Hostels und….. Touristen. An einem Tag unternehmen wir eine Wanderung auf dem sogenannten Campuhan Ridge Walk, ein Spazierweg unweit des Monkey Forests, den wir bewusst meiden. Die Anhöhe entspricht der Steigung der Müggelberge in Berlin-Köpenick, also eher keine sportliche Herausforderung. Dafür können wir auf dem etwa zweistündigen Spaziergang viele lokale Besucher sehen, flanieren vorbei an Kunsthandwerkläden oder luxuriösen Wellness-Oasen. Ganz nach unserem Geschmack, ihr ahnt es bereits, ist die Anzahl kleiner netter Cafés. Wir machen in einem von ihnen eine Pause und schiessen ein paar Fotos.

Nachdem Jana die Vater-Sohn-Zweisamkeit ergänzt, besuchen wir gemeinsam an der südwestlichen Spitze Balis auf der Bukit Halbinsel den Uluwatu Tempel auf einer hohen Klippe, umgeben von dem an diesem Abend ruhigen indischen Ozean. Inmitten der von zahlreichen Makakken bewachten Tempelanlage werden wir Zeuge einer allabendlich aufgeführten Tanzveranstaltung. In einem an einem alten griechischem Theater erinnernden Rund ist der traditionelle Kecak-Feuertanz zu bewundern. Über 50 Sänger sitzen im Kreis und hypnotisieren mit ihrem Cak-Cak-Gesang sich selbst und das Publikum. Die Tänzerinnen und Tänzer überraschen mit ihren prachtvollen Kostümen, wie beispielsweise der weisse Affenkönig Hannoman, der sich in der Schlussszene vor der Opferung durch das Feuer retten kann. Auch wenn es sich um eine stark touristische Veranstaltung handelt, kann ich mich dem Zauber der Darbietung bei Sonnenuntergang vor dieser Kulisse nicht entziehen. Die Stimmung ist einfach wunderschön.

Dankbar für die vielen gemeinsamen Stunden und Erlebnisse mit Maximilian, fahren wir wieder zum Flughafen, an dem ich ihn abgeholt habe. Viel zu schnell ist die Zeit mit ihm vorüber. Ich spüre beim Abschied wie meine Augen feucht werden. Er hat nichts bemerkt, glaube ich. Seltsam, das ich mit fortschreitendem Alter sentimentaler zu werden scheine. Es gibt drei Menschen auf der Welt, von denen ich hoffe, das sie mich überleben werden, da ich nicht weiss, wie ich es ohne sie aushalten würde: Jana, meine Mama und Maximilian.

Die Tauchspots an den Küsten von Bali sind traumhaft. Jana und ich beschliessen, unseren in Malaysia frisch erworbenen Tauchschein zu nutzen, um hier mehr praktische Erfahrungen zu sammeln. Paartherapeuten weisen daraufhin, das eine der wesentlichen Erfolgsfaktoren für langfristig gute Beziehungen unter anderem ein gemeinsames Hobby ist. Super – das haben wir mit dem Tauchen definitiv gefunden. Vor allem, weil wir es aus Sicherheitsgründen auch paarweise durchführen sollen. So hat es uns Kim, unsere Tauchlehrerin, beigebracht. 

Kommunikation unter Wasser beschränkt sich auf Gestik und Zunge herausstrecken. .

Mein Tipp an alle Männer, die noch nach einem gemeinsamen Hobby suchen: Unter Wasser können auch eure Frauen nicht reden (Haha – kleiner Scherz). Aber davon ganz abgesehen, ist es eines der tollsten Hobbys in der Natur, das ich mir vorstellen kann. Ich geniesse es so sehr!

In Tulamben im Nordosten Balis gehen wir zum ersten Mal Wrack- und Nachttauchen. Die grössten und eindrucksvollsten Meeresbewohner sehen wir nachts am Wrack, da sich viele Fische zum Schutz vor noch grösseren Räubern dort zum Schlafen einfinden. Die Stimmung bei einem Nachttauchgang ist unbeschreiblich. Erinnert ihr euch noch an eure erste Nachtwanderung auf Klassenfahrt? Genau wie damals fühlte ich mich. Alles sieht nachts irgendwie anders aus. Am meisten hat mich beeindruckt wie ruhig und friedlich alles wirkt. Es scheint wie eine stille Übereinkunft zwischen allen Meeresbewohnern und uns Gästen, das heute Nacht Frieden herrscht. Egal was über Wasser passiert, hier bist du sicher. Trotz 18 Metern Wasser über mir, fühlte ich mich selten so entspannt.

Kurz vor unserer Abreise wechseln wir noch einmal den Ort, um noch ein anderes Tauchgebiet kennen zu lernen. Ich kehre zurück nach Padangbai, wo ich bereits die ersten Tage mit Maximilian verbracht habe. Wir haben nur einen Tag und buchen eine spanische Tauchlehrerin, die mit uns und ihrer über 60jährigen (!) Mutter zwei Tauchgänge an einem Tag absolviert. Das Boot fährt uns über eine Stunde vom Hafen entfernt zum Mantapoint. Nach dem Eintauchen dauert es dann nicht mehr lang, bis wir die ersten drei bis vier Meter langen Mantarochen sehen.

Sie kommen sehr nah an uns heran. Unter ihnen zu schwimmen und ihre majestätisch wirkenden Flossenschwünge zu beobachten, ist ein atemberaubendes Gefühl. Ich bin zutiefst ergriffen von der Anmut ihrer Bewegungen.

Die Zeit auf Bali geht zu Ende. Die Insel ist so vielfältig wie ihr Ruf etwas zweifelhaft. Natürlich ist hier auch der Massentourismus zuhause. Dem kann man allerdings ziemlich gut aus dem Weg gehen. Die Insel ist gross genug und bietet alles, was mein Herz begehrt. Es war für mich bereits der zweite Besuch. Ich werde wieder kommen, auch wenn das länger dauern kann.