Wir steigen noch ganz verschlafen ohne Frühstück in unser Auto und fahren pünktlich zum Sonnenaufgang los. Früh am morgen sind die Bedingungen für Tierbeobachtungen besonders gut. Und was wir nicht alles bereits in den ersten zwei Stunden zu Gesicht bekommen! Der Nationalpark ist ein wahres Paradies für Tierfreunde. Die unterschiedlichsten Arten tummeln sich an dem Wasserloch – zwischen den Zebras stehen Impalas, Gnus, Kudus und Springböcke. Auch Giraffen und Warzenschweine sind in der Nähe. Von weitem sehen wir eine Gruppe Elefanten herankommen.….
Während Micha und ich in Neuseeland reisen, denke ich öfters an die Safari in Afrika, die ich im August 2017 mit meiner Mama gemacht habe. In den Nationalparks von Namibia und Botsuana wimmelt es nur so von den unterschiedlichsten Tierarten. Hier in Neuseeland hingegen muss ich ein wenig mehr Geduld mitbringen und meine Augen und vor allem die Ohren stets offen halten. Es gibt bei weitem nicht so viele Tiere und sie sind schon garnicht so einfach zu sehen, wie in Afrika. Aber die Begegnungen mit ihnen sind nicht minder eindrucksvoll oder nachhaltig.

Neuseeland ist bekannt für seine einzigartige Vogelwelt – besonders berühmt ist der flugunfähige Kiwi, den jedoch kaum ein Neuseeländer je in freier Wildbahn gesehen hat. Er ist nachtaktiv und gilt als besonders scheu. Dies ist sicher keine schlechte Angewohnheit – schließlich kann er bei Gefahr nicht einfach davon fliegen.
Andere Arten können sich durchaus ein wenig Neugier, Zutraulichkeit – ja sogar einen gewissen Grad an Frechheit leisten. Der Robin (auf Deutsch „Scheinzaunkönig“) ist besonders aufgeweckt und fliegt auf unseren Wanderungen oft sehr knapp an uns vorbei, setzt sich dann kurz vor uns auf den Boden, hüpft vor unseren Füssen entlang und beobachtet uns neugierig. Natürlich bleiben wir jedesmal stehen und beobachten auch ihn – wir haben das Gefühl, dass auch er von uns gerne betrachtet wird.



Einer der kecken grau – weiss gefiederten Exemplare hüpfte sogar einmal direkt auf Michas Schuh – er verwechselte wohl den grell gelben Schnürsenkel mit einem scheinbar besonders attraktiven Wurm.
Wekas sind ungeniert und haben es auf die „Mitbringsel“ der Wanderer abgesehen – eines dieser frechen nur auf Neuseeland vorkommenden Waldhühner hat uns in einem kurzen Augenblick der Unaufmerksamkeit schwups zwei Scheiben Brot aus der Essentüte geklaut. Ihr Appetit und ihre Kessheit werden wohl nur vom Kea (einer Papageienart) übertroffen. Wo sie vorkommen, hängen auf den Zeltplätzen sogar warnende Plakate. Keas fallen regelmässig über Zelte her – wohl eine Art sportlicher Wettkampf untereinander- wer kann das Zelt mit seinem spitzen Schnabel zuerst zerfleddern.

Der Fantail (auf Deutsch „Neuseelandfächerschwanz“) ist etwas scheuer, bleibt mehr auf Abstand, zeigt sich jedoch trotzdem oft – er weiss wohl um sein schönes Aussehen und hüpft gerne von links nach rechts, wobei sein schöner, langer, gefächerter Schwanz besonders gut zur Geltung kommt.
Andere Vögel beglücken uns auf unseren Wanderungen immer wieder mit ihren vielfältigen Stimmen. Den Bellbird mit seinem Namen gebenden Glockenklanggesang hören wir überall auf Neuseeland. Der Tui ist bekannt für sein grosses Repertoire. Wenn es aus einer Richtung hintereinander knarrt, krächzt, zwitschert, trällert und lieblich singt – dann kann der Tui seinen Schnabel mal wieder nicht halten.

Neben dem Gesang der Vögel hörten wir besonders auf der Nordinsel fast überall das stetige Zirpen der Zikaden. Sie hauen mit ihrem am Hinterleib sitzenden „Trommelorgan“ ordentlich auf die Pauke. Wenn sie in grosser Anzahl vorkommen, dann versteht man neben ihnen sein eigenes Wort nicht mehr.
Auf unseren Wanderungen hören wir es auch öfter rascheln. Meist sind es kleine Vögel, die auf dem Boden nach etwas Essbarem suchen und wegfliegen, sobald wir näher kommen. Aber manchmal erleben wir auch Begegnungen der ganz besonderen Art.

Die Drei -Tageswanderung auf Stewart Island (eine kleine Insel ganz im Süden Neuseelands) nehmen wir auch wegen des Kiwis auf uns. Die Insel ist der einzige Ort in Neuseeland, an dem man mit etwas Glück einen der äusserst seltenen Vögel in freier Wildbahn zu Gesicht bekommt.
Die Rangerin gibt uns einen Tipp: nicht weit entfernt soll ein Kiwi sein Revier haben. Und so stapfen wir nach dem Abendessen nochmal raus, um unser Glück zu versuchen. Vor unsere Taschenlampen müssen wir eine rote Folie wickeln, damit wir durch das grelle Licht die Tiere nicht stören. Wir stehen mucksmäuschenstill an dem empfohlenen Ort und hören….nichts. Nach einer Weile ruft eine Eule in der Nähe. Wir harren aus. Dann ein Schrei. Es ist die Stimme eines Kiwis, der ziemlich weit weg sein muss. Interessanterweise ist der „Gesang“ des berühmten Vogels eher ein Wehklagen und erinnert mich sehr an das mürrische Miauen meines Katers, wenn er Hunger hat. Wir bleiben noch stehen und hören es nach einer kurzen Weile hinter uns rascheln.
Da ist etwas im Busch.
Ich höre, wie das Etwas durch die Farne läuft und nicht darauf zu achten scheint, sich besonders leise fortzubewegen. Ich mache meine Taschenlampe an und leuchte direkt auf die Stelle im Farn, an der ich das Geräusch vermute. Ich sehe nichts. Vielleicht war es nur eine Maus oder ein Possum. Wir beschliessen, weiter zu gehen und woanders nach einem Kiwi Ausschau zu halten. Aber auch dort sehen wir kein Exemplar. Als wir wieder an die ursprünglichen Stelle zurückkommen, sehe ich ihn plötzlich direkt vor mir auf dem Weg. Ein Kiwi! 🙂

Besonders beeindruckt mich seine Grösse – vergleichbar mit einem Huhn. Unsere unmittelbare Anwesenheit oder das rote Licht scheinen ihn nicht zu stören. Er läuft recht gemütlich über den Weg, zurück in die Farne. Und da ist das Rascheln wieder – genau wie vorhin. Durch das laute Knacken des Unterholzes können wir seine Schritte akustisch verfolgen. Und tatsächlich, er geht wieder in Richtung des Weges. Mittlerweile sind auch die anderen Wanderer zu uns gekommen. Nun stehen wir alle gespannt und wie angewurzelt da. Der Kiwi kommt wieder auf den Weg, direkt auf unsere Füsse zugelaufen. Ich halte vor Aufregung die Luft an. Er scheint sich absolut auf seine Futtersuche zu konzentrieren, stochert mit dem langen Schnabel auf dem Boden herum und merkt wohl erst kurz vor unseren Füssen, dass es da nichts zu Fressen für ihn gibt. So bleibt er stehen, guckt sich um und dreht quasi auf dem Absatz um. Wir schauen uns mit grossen Augen und offenen Mündern an. Was für ein bewegender Moment. Langsam watschelnd verschwindet der Kiwi wieder im Wald. Wir können ihn noch eine Weile hören. Wow, wir sind alle total glücklich und wissen um die Besonderheit des Momentes. Auch für die Neuseeländer in der Runde ist dies eine „Kiwi-Premiere“.

Am nächsten Tag achte ich besonders auf Geräusche aus dem Dickicht jenseits der Wege – vielleicht sehen wir ja noch einmal einen Kiwi? Auch wenn Sie vorwiegend nachtaktiv sind, an die „Tagruhe“ soll sich gerade die auf Stewart Island vorkommende Kiwiart nicht strikt halten. Nach rund zwei Stunden raschelt es im Farn. Wir halten an und warten ab. Es knackt wieder, ziemlich laut. Das könnte ein Kiwi sein. Micha und ich schauen uns an und versuchen das Rascheln zu orten. Das Tier, welches das Geräusch verursacht, kommt näher. Plötzlich ist das Knistern direkt vor uns. Das muss ja ein grosser Kiwi sein, schwant es mir, um diesen Gedanken im gleichen Moment zu verwerfen. Während mein Geist noch versucht, dieses laute Geräusch einem Tier zuzuordnen, steht es auch schon direkt vor uns und schaut uns ganz überrascht, aber nicht ängstlich an.

Wir starren es mit genauso grossen Augen an, wie es uns anschaut. Was nun? Wir bleiben stehen, das Reh verharrt weiterhin direkt vor uns. Ich schaue ihm eine lange Zeit fasziniert direkt in die Augen. Micha macht sogar einige Fotos. Das Reh sieht anscheinend keine Gefahr in uns und läuft gemächlich an uns vorbei. Was für eine Begegnung! Rehe haben wir beide schon oft gesehen, aber noch nie so nah im tiefen Wald für einen so langen Zeitraum.

Neben der Vielzahl an Vögeln, Insekten und Wild gibt es in Neuseeland natürlich auch jede Menge Haustiere. In jedem AirBnB, in dem wir in Neuseeland sind, wohnt mindestens auch eine Katze. Auch sie haben natürlich ihren Charme und einen ganz besonders süssen Kater möchte ich euch nicht vorenthalten. Dieser Kleine hier heisst „Coast“, er ist erst ein paar Wochen alt und ausgesprochen neugierig. Immer will er dabei sein, überall reingucken. Ein Knäuel pure Lebensfreude.
Und so sind es in Neuseeland die ganz individuellen Begegnungen mit den einzelnen Tieren, die diese Reise, neben all den anderen Erlebnissen, zu etwas Besonderem machen. Hier erwartet den Besucher nicht – wie auf einer Safari – eine Vielzahl an Tieren auf kleinem Terrain. Hier darf man nach den Tieren suchen, Geduld haben und sie auf sich zukommen lassen. Wer sich darauf einlässt, der hat in Neuseeland den ganzen Tag und die ganze Nacht gute Bedingungen für Tierbeobachtungen.