„Das Meer, dessen sanfte, furchtgebietende Wogen von einer darunter liegenden Seele künden, birgt ein Geheimnis – aber welches?“ (Hermann Melville, US-Amerikanischer Erzähler und Autor einer der bekanntesten Romane, in dem ein Wal im Mittelpunkt steht: Moby Dick)
Das Neuseeland im Wesentlichen aus zwei grossen Inseln besteht, ist ja bekannt, wenn nicht, erwähne ich es hier nochmal. Dieser Umstand, die Grösse und die Nord-Süd-Ausdehnung bringen es mit sich, das Wasser, in diesem Fall sehr viel Wasser (auf der Westseite die Tasmansee und auf der Ostseite der Pazifik) für zahlreiche Besucher an und vor den Küsten sorgt. Hin und wieder durften wir dankbare Augenzeugen dieser Audienzen sein, denn so leicht lassen sich die Meeresbewohner gar nicht entdecken.

Jana und ich warten in dem uns zugewiesenen Raum mit Fotos und Warnhinweisen an den Wänden. Der laufende Film gibt Hinweise zu Vorkommen, Lebensweise, Fress- und Paarungsverhalten, sowie zum Schutz derjenigen Meeresbewohner, von denen wir vielleicht den einen oder anderen heute zu sehen bekommen. Wir befinden uns im Hafen von Kaikoura und warten auf das Ablegen unseres Walbeobachtungsbootes.
Die Stadt an der Westküste der Südinsel hat sich in den letzten Jahren zu einem wahren Treffpunkt für Whale-Whatching entwickelt. Kurz vor der Küste senkt sich der Meeresboden unvermittelt auf 1,5 km Tiefe – und wegen des enormen Futterangebotes halten sich dort ganzjährig viele Wale auf.
Wir betreten das Schiff und der freundliche Einweiser gestikuliert und redet unentwegt, wird nicht müde, darauf hinzuweisen, welche Verhaltensregeln bei eventuell aufkommender Übelkeit, also „Seekrankheit“ zu befolgen sind. In den Taschen vor jedem Sitz befinden sich entsprechende Tüten, die Klimaanlage ist auf das gerade noch vertretbare Minimum eingestellt. Es heisst, der Mensch verspürt weniger Übelkeit, wenn er friert. Die Wetterschwankungen sowie unsere Campingerfahrungen haben uns gelehrt, „Zwiebel-Look“ zu tragen (also mehrere Schichten aus T-Shirt, Sweatshirt, Weste oder Funktionsjacke und als letzte Waffe die Wetter- bzw. Thermojacke). Wir sind also gut vorbereitet.

Dann geht es los. Das speziell für Beobachtungszwecke gebaute Schiff bewegt sich mit hohem Tempo etwa eine halbe Stunde hinaus auf das offene Meer. Der Wellengang ist stark, aber zumindest für uns noch erträglich. Jana und ich schauen uns an und ahnen, welche Taktik hinter der zwar unterhaltsamen, doch auch langsam etwas nervigen Ansprache des Guides stecken könnte. Will er magenempfindliche Fahrgäste vielleicht damit einfach ablenken?
Dann verlangsamt sich die Geschwindigkeit. Wir dürfen das Schiffsinnere verlassen und das Deck betreten. Von oben nehmen wir Helikoptergeräusche wahr. Diejenigen mit etwas mehr Budget suchen nach den raren Riesen bequem aus der Luft. Haben Sie schon etwas gesehen? Sind wir unserem Ziel nah? Dann bittet uns der Guide, die Wasseroberfläche zu beobachten, darauf zu achten, ob wir regelmässig kleinere Wasserfontänen sehen und ihm oder dem Kapitän einen Hinweis zu geben. Angestrengt schauen wir auf das Wasser. Die Augen gewöhnen sich an das Auf und Ab sowie die schäumenden Wellenbewegungen.

Der Kapitän greift zu einer Stange, an deren unterem Ende ein Ortungsgerät befestigt ist. Nach einigen Minuten schaut er zufrieden auf die Messdaten und lenkt das Schiff einen kleinen Abschnitt weiter. Nun wissen wir auch, dass der Helikopter einfach nur dem Boot folgt – die dort oben haben vielleicht eine weitere Sicht, können aber die Laute der Wale nicht abfangen.
Unsere Anspannung steigt. Werden wir heute tatsächlich zum ersten Mal in unserem Leben einen Wal in seinem natürlichen Lebensraum sehen?
Dann ist es soweit. Der Guide scheint trotz aller Erfahrung und Routine selbst emotional dabei zu sein, sagt an, wohin sich unsere Augen richten sollen. Da ist er, der regelmässig wiederkehrende Wasserspringbrunnen, der aus dem Ozean tanzt. Erst ahnen wir, nach ein paar Sekunden sehen wir den riesigen grau glänzenden Rücken eines Pottwales. Ein Vertreter dieser Art und die Jagd nach ihm beschreibt Hermann Melville in seinem vor rund 170 Jahren veröffentlichten Roman. Leider stellt der Romanverlauf mit dem am Ende überlebenden „Moby Dick“ im wahren Leben eher die Ausnahme als die Regel dar.

Wir staunen, fotografieren, versuchen mit allen Sinnen diesen Moment aufzunehmen und abzuspeichern. Diese Phase dauert nur wenige Minuten, bis der (wie wir hinterher vom Guide erfahren) etwa 16 bis 18 Meter lange Riese genug Luft geholt und verdaut hat, um danach wieder kilometertief abzutauchen. Doch genau dieser Augenblick des Eintauchens ist für mich atemberaubend schön. Kurz nach dem der Wal Schwung zu holen scheint, wölbt sich seinen Rücken nach oben, um dann ganz langsam wie in einer Zeitlupe zum Abschluss seine riesige Schwanzflosse zu zeigen. Diese gleitet geschmeidig in das tiefe Nass und Sekunden später sieht es auf der Wasseroberfläche aus, als wäre nichts gewesen.

Wir haben das grosse Glück, dieses Schauspiel kurz darauf noch einmal bei einem weiteren Wal miterleben zu dürfen. Anders als bei anderen Tierbeobachtungen empfinde ich hier eine besondere Art der Demut und Dankbarkeit. Trotz der Entfernung wirken die Wale sehr souverän, geradezu erhaben und trotz ihrer Grösse und Wucht überhaupt nicht bedrohlich, sondern eher freundlich auf mich.
Das zufriedene Lächeln auf unseren Gesichtern wird noch grösser als wir auf dem Rückweg in einen Schwarm von bis zu 20 Schwarzdelphinen (Dusky Dolfines) geraten. Sie schwimmen sehr nah um das Boot, springen, verschwinden, kommen in kleineren Gruppen wieder. So geht es einige Male hin und her. Noch nie haben haben Jana und ich so viele dieser neugierigen und scheinbar spassigen Tiere gesehen. Langsam entfernen wir uns wieder von ihnen.
Bevor wir Kaikoura wieder verlassen, besuchen wir am nächsten Tag die nur an wenigen Strandabschnitten zu findenden Pelzrobben. Sie geniessen die Sonne, legen sich von links nach rechts und halten ab und an ihre Nasen in den Wind. Besonderes Vergnügen bereitet mir eine Robbe, die im flachen Wasser im Küstenbereich auf dem Rücken liegend zeigt, wie gross doch die Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier sein können.


Wie sie so entspannt im Wasser liegt, stelle ich mir einen Pauschaltouristen in einem aufblasbaren Schwimmsessel mit Cocktailhalter rechts und Handyablage links im Pool vor. Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ein herrliches Bild voller Wohlbefinden und einfacher Glückseligkeit.
Ein paar Wochen später hat sich dieser Eindruck in den Catlins im Südwesten der Südinsel verfestigt. Nach einem längeren Strandspaziergang konnten wir dort die Verwandten der Pelzrobben, die Seelöwen beobachten.

Auch sie verstanden es, ihren Landgang ausgiebig zu geniessen, obwohl es kühl und sehr windig war. Aber da hilft eben ein Wärmepolster. Meines half mir auch. Auch wenn es, zugegebenermassen, nicht so putzig anzusehen ist, wie das der bärtigen Riesen mit den kurzen Flossen. Wir hatten den Eindruck, das sich einer der beobachteten Prachtkerle für seine Gäste ganz besonders ins Zeug legte: einmal umgedreht, dann linke Flosse hoch, rechte Flosse hoch, hingesetzt, Profil einmal von links, Profil einmal von rechts gezeigt und dann…. ging es über den Laufsteg, äh den Strand. Nur um dann erstmal wieder zu pausieren und nachzuschauen, ob die Kameras auch noch alle auf ihn gerichtet sind. Ich werde das Gefühl nicht los, das Tiere oft viel menschlicher sind, als wir es uns eingestehen wollen. Dieses Bild erinnert mich an meine Jugend, als sich im Strandbad Berlin-Grünau ähnliche Szenen mit menschlichen Prachtexemplaren abspielten.
Als letztes bleibt mir eine kurze, aber um so eindrücklichere Begegnung mit einem Zwergpinguin während des Abel-Tasman-Tracks, einer Wanderung zu Wasser und an der Küste im Norden der Südinsel, in Erinnerung. Jana und ich waren am zweiten Tag mit einen Kayak an der Küste unterwegs und kurz davor, den an diesem Tag geplanten und nur vom Meer erreichbaren Campingplatz in der Mosquito Bay zu erreichen.



Plötzlich tauchte ein Zwergpinguin (in Neuseeland heissen diese „Blue Pinguins“) links vom Kajak auf. Aus dem Augenwinkel dachte ich zunächst an einen Wasservogel, von denen es viele gab. Auf den zweiten Blick erkannten wir den besonderen Besucher und hatten einige Momente, in den wir die Paddel ins Boot und unseren Fokus auf den mit 35 bis 40 cm kleinsten Pinguin der Welt legten. Er schien es zunächst nicht eilig zu haben, so dass wir ein paar stille Augenblicke mit ihm gemeinsam hatten, bis er schliesslich abtauchte und nicht mehr zu sehen war.
Ich glaube nicht, das das Meer nur ein Geheimnis, sondern mehrere birgt. Es ist wie die Seele eines Menschen, manchmal klar bis auf den Grund, dann wieder spiegelt sie im nächsten Moment nur ihr Gegenüber, wie das Wasser den Himmel. Sie kann eintrüben, wenn Sturm aufkommt oder in der Tiefe der Boden aufwühlt. Wie die Seele so ist auch das Meer empfindlich.

Sehr schön und anschaulich beschrieben!!
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Danke Marie! Es hätte dir auch super gut gefallen hier
LG; Jana
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