Durch den Süden mit Papa Schlumpf

Die Tage der Busreisen, des Trampens und Zeltens waren Anfang März schlagartig vorbei. Denn von da an begleitete uns Papa Schlumpf. Es hätte auch Clark Kent, Cinderella oder Mary Poppins sein können. Aber uns wurde eben „Papa Smurf“ zugeteilt. 

Papa Schlumpf war unser Camper – das Autovermietungsunternehmen gab jedem Fahrzeug einen individuellen Namen und dieser war auf der Fahrertür sichtbar. Wir haben auf der Reise viele andere Autos des selben Vermieters gesehen, aber niemand hatte einen so drolligen, sympathischen und oft ein Lächeln erzeugenden Gefährten wie wir. Ausserdem fand ich, das der Name sehr gut zu Micha passte. 🙂

Papa Schlumpf war wie viele Camper in Neuseeland ein Toyota Estima. Dieses Modell, hergestellt in den 90er Jahren kannten wir aus Europa nicht. Er war im Prinzip einmal ein Familienauto, ein Minivan mit drei Sitzreihen und wurde umgebaut in einen Campervan. Ihn als Wohnmobil zu bezeichnen wäre übertrieben, Papa Schlumpf war nüchtern betrachtet nur ein Auto  – und doch war er noch so viel mehr. Er brachte uns nicht nur wohlbehalten über die Südinsel Neuseelands, er war unser Schlafzimmer, unser Kleiderschrank, das Wohnzimmer, die Küche und die Vorratskammer – all dies auf vielleicht sieben Quadratmetern. Und er war mit 336 000 km in den Strümpfen zurecht ein Senior.

Abgeholt haben wir ihn am Flughafen von Christchurch. Wir freuten uns über den plötzlichen Komfort, der mit ihm kam – es gab für vier Personen Teller, Schälchen, Besteck und Gläser, einen Topf, eine Pfanne und zwei Campingkocher, zwei Klappstühle und einen Tisch. Des weiteren gehörten Bettzeug bestehend aus einem Laken, einer Decke und zwei richtigen Kopfkissen dazu. Wie werden wir ab nun dinieren und schlafen! Ein weiterer Luxus eines Autos besteht natürlich darin, dass wir nicht mehr gehen und unser Gepäck tragen müssen…. und die Einkäufe auch nicht. 

Einen solch langen Kassenzettel hatten wir in Neuseeland noch nie.

Unser Kaufrausch des ersten Supermarktbesuchs wurde nur durch die Einschränkung der drohenden Verderblichkeit der Lebensmittel gezügelt. Einen Minikühlschrank hatte Papa Schlumpf im Gegensatz zu den echten Wohnmobilen leider nicht.

Mit Papa Schlumpf erkundeten wir in 6 Wochen die Südinsel Neuseelands. Er brachte uns an Orte, die wir ohne ihn wahrscheinlich nicht gesehen hätten. 

Einer der ersten tollen kleinen Campingplätze war der am „Lake McGregor“.  Den kleinen Nachbarsee des weitaus grösseren „Lake Tekapo“ konnten wir leicht in ein paar Stunden zu Fuss umrunden. Die Sonne lies das trockene Gras in einem unglaublich schönen Goldton erstrahlen.

Keine 70 Kilometer Luftlinie entfernt sah die Landschaft schon ganz anders aus – am Fusse des Mount Cook (dem mit 3.724 Höhenmetern grössten Berg Neuseelands) gab es einige Gletscherseen zu entdecken. Trotz mehreren Schichten an Kleidungsstücken fühlten wir uns neben den Eisbrocken, die im Wasser herum schwammen, wie zwei Zitronenscheiben in einem von Eis gekühlten Longdrink. Nahmen wir uns sonst immer viel Zeit für unsere Wanderungen, für die Strecke zurück an den Parkplatz brauchten wir nicht lange – Papa Schlumpf lockte mit seiner warmen Luft aus der Klimaanlage. 

In Neuseeland kann man die unterschiedlichsten Landschaften auf recht engem Raum bewundern. Nach der Hochebene mit seinen vielen verträumt grasenden Schafen und dem Abstecher in die Gletscherregion schlumpften wir uns auf den Weg an die Westküste an einen der berühmtesten Fjorde Neuseelands  – dem „Milford Sound“. Allein schon die Fahrt dahin war beeindruckend. Genau wie alle anderen Touristen, hielten auch wir mehrmals für Fotostops an – so schön war die Strecke. 

Die Gegend gefiel uns so gut, dass wir mehrere Tage hier blieben und noch einige Wanderungen unternahmen.

Wir genossen die Freiheit und die Flexibilität, die uns unser fahrendes Zuhause schenkte – wir mussten früh morgens noch nicht wissen, wo wir abends schlafen werden, denn offizielle Stellplätze für Camper gab es genügend. Im Vergleich zu der Zeit ohne Auto war das ein weiterer kleiner Luxus. Wir kamen recht schnell zu den Campingplätzen und, was manchmal umso wichtiger war, auch schnell wieder weg.

Zwei mal sind wir früh morgens regelrecht geflüchtet – und Schuld daran waren ausschliesslich die Sandflies – das sind kleine äusserst bluthungrige Biester, die einem den schönsten Campingplatz verderben können. Sandfliegen gibt es an vielen Orten in Neuseeland – gebissen wurden wir unterwegs schon oft. Aber es gibt Gegenden, da kommen sie in Scharen vor und da sind sie besonders skrupellos mit ihrer Beute.

Kleiner Exkurs: Der Legende nach hat der Gott Tu-te-raki-whanoa die Fjordlandschaft so atemberaubend schön geschaffen, dass sie die Menschen davon abhielt, zu arbeiten und sie nur voller Ehrfurcht staunten. Die Göttin Hinenuitepo wurde deswegen so wütend auf diese unproduktiven Menschen, dass sie die Sandfliegen kreierte, um sie zu beissen und sie so wieder in Bewegung zu setzen.

Eine dieser Gegenden im Fiordland National Park ist das Hollyford-Tal. Die Tür nur kurz aufgemacht und schwupp sind mindestens 20 der fiesen „Fliegen“ im Auto. Und es blieb ja nicht bei denen, die schon drin waren. Da wir noch mitten im neuseeländischen Sommer waren, mussten wir zum Schlafen unbedingt die Fenster ein bisschen auflassen, sonst hätten wir uns bald wie in einem Gewächshaus gefühlt. Ich dachte immer, Insekten werden von Licht angelockt, aber Mücken und Sandfliegen müssen wohl einen sehr guten Geruchssinn haben. Wir konnten sie beobachten, wie Sie den kleinen Spalt im Fenster finden und hineinschwirrten. Ans Schlafen war nicht zu denken.

Wir legten also eine gute Schicht Mückenspray auf und versuchten es dann nochmals mit der Nachtruhe. Erfolglos. Zum einen bereitete uns unser neues „Parfüm“ Übelkeit und zum anderen ist es zwar nett, wenn die Mücken sich nicht auf deiner Haut zum Essen niederlassen, aber es ist umso nerviger, wenn sie nun verzweifelt versuchen, eine jungfräuliche Stelle auf deiner Haut zu finden und unentwegt an deinen Ohren vorbei summen. Also wurden nun die Ohrstöpsel rausgekramt. Micha bevorzugte die Version des halben Kopfkissens über dem Ohr. Irgendwann mitten in der Nacht müssen wir dann so eingeschlafen sein. Dies waren die kürzesten Nächte überhaupt in Neuseeland. Am nächsten Morgen, sobald es ein bisschen hell war, krabbelten wir von unserem Nachtlager im Hinterbereich nach vorne auf die Sitze. Ja, auch das geht, wenn man will. Aber es sieht schon lustig aus, wenn sich ein über 1,90m grosser Mann zwischen die zwei Vordersitze nach vorne quetscht. Noch im Schlafanzug und ohne die Tür einmal aufgemacht zu haben fuhren wir los. Wir wurden das Abendessen für viele der Biester, zum frühstücken sollen sie sich doch jemanden anderen suchen. 

Im Auto unterwegs verging der März wie im Flug. Wir fanden auch mit Papa Schlumpf schnell unseren Rhythmus. Trotz der vielen unterschiedlichen Eindrücke, die tagsüber auf uns warteten, bekamen wir eine gewisse Reiseroutine. Wir wachten auf, sobald es hell wurde. Die Natur belohnte dieses frühe Munterwerden oft mit fabelhaften Sonnenaufgängen, die wir zum Teil auch direkt aus dem Auto heraus betrachten konnten.

Das morgendliche Herauskrabbeln aus dem Auto kann man auch als eine Vorstufe zu einer Yogaübung bezeichnen – denn es ist nicht immer einfach, ohne Bandscheibenschaden da raus zu kommen. Können wir zu Hause mit dem Bettenmachen warten, bis wir richtig wach sind, oder notfalls komplett darauf verzichten, so erlaubte uns Papa Schlumpf dies nicht. Bevor es irgendwie weiter ging, mussten wir das „Bett“ machen, denn schliesslich bestand die Matratze aus drei Einzelteilen, die je auf zwei Truhen und einem zusätzlichen Verlängerungsbrett aufgelegt wurden. In den zwei Truhen waren zum einen unsere Klamotten und zum anderen unser Essen sowie das Kochgeschirr. Solange wir also das „Schlafzimmer“ nutzten, hatten wir keinen Zugang zum „Kleiderschrank“ oder zur „Küche“. Sobald alles verstaut wurde, konnten wir in den Tag starten. Das Ritual des genüsslichen Frühstücks behielten wir auch mit Papa Schlumpf bei. Manchmal gesellte sich sogar das ein oder andere willkommene Tier zu uns. 

Während der Sonnenstunden unternahmen wir meist kleinere Wanderungen und besichtigten die natürlichen oder vom Menschen geschaffenen Sehenswürdigkeiten der einzelnen Regionen.

Bevor es dunkel wurde hatten wir meist unseren Stellplatz für die Nacht gefunden. Das Morgenritual wurde umgedreht und zum Abendritual. Das heisst dementsprechend erstmal in aller Ruhe das Essen machen und dieses ausgiebig geniessen. Wir hatten wirklich grosses Glück mit dem Wetter. Während unserer Reise war es meistens sonnig, es hat kaum geregnet und so konnten wir uns auch Abends draussen aufhalten.

So schön, wie der Tag begann, so ging er auch oft zu Ende – mit farbintensiven Sonnenuntergängen. 

Satt und zufrieden wären wir nun gerne ins Bett gefallen, aber zunächst mussten wir die Inneneinrichtung von Papa Schlumpf wieder umbauen – Kiste aufmachen, Bettzeug rausnehmen, dieses ausschütteln, Matratze aufbauen und beziehen. Jeden Abend die gleiche Prozedur. Unzählige Male haben wir uns dabei den Kopf gestossen. Da wurde uns bewusst, wie komfortabel so ein richtiges Schlafzimmer mit einem Bett als festen Bestandteil ist. 

Diesen logistischen Aufwand nahmen wir gern in Kauf, da wir so sehr nah an und in der Natur sein konnten. Aus dem Dachfenster von Papa Schlumpf konnten wir einige Male einen fantastischen Sternenhimmel mit unendlich vielen leuchtenden Stecknadelköpfen beobachten.

Nach fünf Wochen und rund 3.800 gefahrenen Kilometern mussten wir Anfang April unseren liebgewonnenen Gefährten wieder abgeben. Unsere Drei-Monats-Reise durch Neuseeland lag nun hinter uns und wir waren sehr froh, das Land auf so eine abwechslungsreiche Art des Reisens erlebt zu haben. Weder hätten wir die ganze Zeit im Auto, noch ausschliesslich mit Rucksack und im Zelt bzw. in Jugendherbergen / privaten Unterkünften verbringen wollen. Es war für uns genau die richtige Mischung. 

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